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Hubert und Johann van Eyck.
im Raume so viele Gestalten und Erscheinungen zusammen, als die
Feinheit ihres Pinsels gestattet und _geben auch dem Entfernten eine
so genaue und vollständige Ausführung, als sie vermögen: Die Luft-
perspective ist ihnen nicht unbekannt; für den Reiz (luftiger Fernen
sind sie nicht unempfänglich, aber nur so weit die Perspective diese
Wirkung hervorbringt, lassen sie sich auf sie ein; von der allmäligen
Abnahme der Farben im Mittelgrunde nehmen sie keine Notiz. Ohne
Zweifel war dies nicht ein Kunstgriff, sondern eine naive Unkennt-
niss, ein Mangel an Beobachtung; aber die Wirkung ist eine höchst
poetische. Wir werden dadurch wie auf Flügeln der Phantasie
emporgehoben und überschauen mit einem Blicke den Reichthum der
Schöpfung im weiteren Umfange, als es uns in der Wirklichkeit die
Beschränkung unsres Gesichtskreises gestattet; wir werden uns ihrer
doppelten Unendlichkeit, der äusseren des Raumes und der inneren
der Eigenschaften und Beziehungen, die sich in jedem Gegenstande
spiegeln, gleichzeitig bewusst. Diese kühne, kindlich naive Begeiste-
rung, verbunden mit der männlich ernsten Ausdauer der Ausführung,
mit der liebevollen anspruchslosen Hingebung, mit der Gemüthsruhe
und Pietät und endlich mit der Pracht der Farbe, die wie ein voll-
ständig besetzter Chor die Werke Gottes feiert, giebt diesen Bildern
den Ausdruck einer innigen, aber keineswegs asketisch strengen,
sondern überaus heiteren, lebensfrohen Frömmigkeit.
Zum Beschlusse dieser Nachrichten überiHubert und Johann
van Eyck bleibt uns noch übrig, von ihren Geschwistern und von
ihren unmittelbaren Schülern zu sprechen. Ihres Bruders Lambert
ist schon oben gedacht und bemerkt, dass die Vermuthung, auch er
sei Maler gewesen, sich nicht erweisen lasse 1). Dagegen war nach
der Angabe des Lucas de Heere und van Mandefs ihre Schwester
Margaretha, welche unverheirathet starb und neben ihrem Bruder
Hubert in der St. Janskirche zu Gent begraben wurde, eine kunst-
reiche Malerin. Von ihren Werken wissen wir indessen nichts und
selbst die Annahme, dass ihr Fach hauptsächlich Miniaturmalerei ge-
wesen, beruht nur auf Vermuthungi).
1) Vgl. oben p. 150.
2) Vasari, der in dem auf den Mittheilungen des Lampsonius beruhenden zu-
sätzlichen Kapitel auch eine Aufzählung von flandrischen Miniatllrmalern giebt;
nennt sie nicht. James Weale (Anz. für Kunde der deutschen Vorzeit 1863 p. 155)
glaubte auf dem Gürtel der Madonna in einem kleinen Bilde ihren Namen ent-
deckt zu haben, die vermeintlichen Buchstaben scheinen aber nur willkürliche
Zierrathen zu sein. Pinchart ad Crowe und Cavalcaselle p. CCXV.