Volltext: Geschichte der bildenden Künste im 15. Jahrhundert (Bd. 8)

Richtung J ohann's. 
Künstlerische 
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macht, dass die Natur eine Einheit, eine Offenbarung und Spiegelung 
der Gottheit, das Abbild ihrer Schönheit sei. Hubert van Eyck hatte 
diese neue Lehre in seinem grossen Werke zu Gent vollständig aus- 
gesprochen, gleichsam in eine künstlerische wissenschaftliche Formel 
gebracht, die Rechte der älteren wie der neuen Auffassung gewahrt. 
In der oberen Reihe zeigten sich die göttlichen Gestalten noch wie 
bisher auf Goldgrund, wenngleich in vollständigerer körperlicher Aus- 
bildung; in der unteren entfaltete sich der Reichthum der Natur in 
voller Breite, aber mit ausgesprochener Beziehung auf den von oben 
ausgehenden Licht- und Mittelpunkt. Johannes, sei es, dass die 
Schranken seines Talentes ihn dazu bestimmten, oder dass seine 
Kenntniss der Menschen und besonders der höheren Klassen es ihm 
empfahl, vereinfachte und popularisirte diesen Gedanken. Statt die 
Kraft seines ganzen Lebens an ein gewaltiges Werk zu setzen, wollte 
er viele kleine schaffen; statt die grossen Thaten Gottes und des 
Lammes in einem mystisch tiefen Epos zu feiern, diente er dem viel- 
deutigen, beliebten Madonnencultus in einer mehr lyrischen Form. 
Es gab ihm dies eine günstige Gelegenheit, näher auf die verschie- 
denen Schönheiten der Natur, auf ihre Vielseitigkeit, auf ihren Reich- 
thum an Einzelheiten einzugehen. Hier ist er in seiner Starke, er 
weiss jedem Gegenstande seine bedeutsamen Eigenschaften abzuge- 
winnen. Thront oder steht die Madonna, wie es der Himmelskönigin 
würdig ist, in einer Kirchenhalle (auf dem Votivbilde des Canonicus 
Pala, in Dresden und in Berlin), so übersehen wir eine architektonische 
Perspective mit mannigfacher, von verschiedenen Fenstern ausgehender 
Beleuchtung, gewöhnlich im romanischen Style mit Rundsäulen, welche 
einfachere Lichtmassen geben, deren Kapitale mannigfache figürliche 
Darstellungen gestatten. Erscheint die Jungfrau, wie es ihr als Vor- 
bild der Demuth und Züchtigkeit wohl ansteht, in häuslicher Um- 
gebung, so führt der Künstler uns (wie auf den Bildern in Jnce Hall 
und im Staedelschen Institute) in ein Wohngemach. mit allem Reize 
wohlthuender Stille und häuslicher Behaglichkeit; auf dem 'l'ragbrette 
sieht man sauber glänzendes Messinggeschirr, Lampe und Kanne, auf 
dem Tische Früchte oder Blumen und die halbgefüllte Wassertlasche, 
durch das geöffnete Fenster fällt der Blick auf eine weite, sonnen- 
beschienene Landschaft mit Feldern und Bäumen, Städten und Bur- 
gen, belebten Strassen und gebirgigem Hintergründe. Sehen wir sie 
im Freien, oder wenigstens mit freiem Hintergründe (wie im Louvre, 
bei Lord Burleigh und bei Rothschild in Paris), so ist es in weitester, 
von unzähligen Gestalten belebter, mit prächtigen Bauwerken ge- 
schinückter Landschaft. Reich, wie diese Umgebungen, ist dann auch
	        
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