Richtung J ohann's.
Künstlerische
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macht, dass die Natur eine Einheit, eine Offenbarung und Spiegelung
der Gottheit, das Abbild ihrer Schönheit sei. Hubert van Eyck hatte
diese neue Lehre in seinem grossen Werke zu Gent vollständig aus-
gesprochen, gleichsam in eine künstlerische wissenschaftliche Formel
gebracht, die Rechte der älteren wie der neuen Auffassung gewahrt.
In der oberen Reihe zeigten sich die göttlichen Gestalten noch wie
bisher auf Goldgrund, wenngleich in vollständigerer körperlicher Aus-
bildung; in der unteren entfaltete sich der Reichthum der Natur in
voller Breite, aber mit ausgesprochener Beziehung auf den von oben
ausgehenden Licht- und Mittelpunkt. Johannes, sei es, dass die
Schranken seines Talentes ihn dazu bestimmten, oder dass seine
Kenntniss der Menschen und besonders der höheren Klassen es ihm
empfahl, vereinfachte und popularisirte diesen Gedanken. Statt die
Kraft seines ganzen Lebens an ein gewaltiges Werk zu setzen, wollte
er viele kleine schaffen; statt die grossen Thaten Gottes und des
Lammes in einem mystisch tiefen Epos zu feiern, diente er dem viel-
deutigen, beliebten Madonnencultus in einer mehr lyrischen Form.
Es gab ihm dies eine günstige Gelegenheit, näher auf die verschie-
denen Schönheiten der Natur, auf ihre Vielseitigkeit, auf ihren Reich-
thum an Einzelheiten einzugehen. Hier ist er in seiner Starke, er
weiss jedem Gegenstande seine bedeutsamen Eigenschaften abzuge-
winnen. Thront oder steht die Madonna, wie es der Himmelskönigin
würdig ist, in einer Kirchenhalle (auf dem Votivbilde des Canonicus
Pala, in Dresden und in Berlin), so übersehen wir eine architektonische
Perspective mit mannigfacher, von verschiedenen Fenstern ausgehender
Beleuchtung, gewöhnlich im romanischen Style mit Rundsäulen, welche
einfachere Lichtmassen geben, deren Kapitale mannigfache figürliche
Darstellungen gestatten. Erscheint die Jungfrau, wie es ihr als Vor-
bild der Demuth und Züchtigkeit wohl ansteht, in häuslicher Um-
gebung, so führt der Künstler uns (wie auf den Bildern in Jnce Hall
und im Staedelschen Institute) in ein Wohngemach. mit allem Reize
wohlthuender Stille und häuslicher Behaglichkeit; auf dem 'l'ragbrette
sieht man sauber glänzendes Messinggeschirr, Lampe und Kanne, auf
dem Tische Früchte oder Blumen und die halbgefüllte Wassertlasche,
durch das geöffnete Fenster fällt der Blick auf eine weite, sonnen-
beschienene Landschaft mit Feldern und Bäumen, Städten und Bur-
gen, belebten Strassen und gebirgigem Hintergründe. Sehen wir sie
im Freien, oder wenigstens mit freiem Hintergründe (wie im Louvre,
bei Lord Burleigh und bei Rothschild in Paris), so ist es in weitester,
von unzähligen Gestalten belebter, mit prächtigen Bauwerken ge-
schinückter Landschaft. Reich, wie diese Umgebungen, ist dann auch