Künstlerische Richtung
J ohamfs.
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I. Lief. p. 19]. Unter den Porträts verdient vor Allem Erwähnung
das Brustbild eines alten Mannes mit zwei Nelken in der Hand,
früher im Besitze des Herrn B. Suermondt zu Aachen, jetzt im Mu-
seum zu Berlin; es wetteifert in Naturwahrheit und Individualisirung
mit dem Jodocus Vydts auf dem Genter Altar. [Im Belvedere zu
Wien der treffliche Kopf eines alten Mannes, von der Gesellschaft für
vervielfältigende Kunst zu Wien in Farbendruck herausgegeben].
Zahlreiche andere Werke, deren Aufzählung hier zu weit führen
würde, nähern sich der Weise unseres Meisters so sehr, dass man
sie nahestehenden Schülern zuschreiben muss 1).
Vergleichen wir die künstlerische Richtung Johann's van Eyck,
wie sie sich aus seinen Werken, den erhaltenen sowohl als den nur
nachrichtlich bekannten, ergiebt, mit der seines älteren Bruders, wie
sie sich im Genter Altar zeigt, so ist eine grosse Verschiedenheit
augenscheinlich. Von einer Vorliebe für mystisch religiöse Ideen,
für umfassende auf die Entfaltung tiefer Gedanken berechnete Com-
positionen ist bei dem jüngeren Bruder keine Spur. Selbst das Bild
aus St. Martin in Ypern enthält nur eine einfache und hergcbrachte
Symbolik, die ohne Zweifel der Besteller vorgeschrieben hatte, und
das mit der Weihe des Thomas Becket stellt zwar einen historischen
Moment dar, aber doch nur einen sehr äusserlichen, und das mit
einer mässigen Zahl ziemlich kleiner Figuren. Abgesehen aber von
diesen beiden Werken, die entweder ihm nicht gehören oder Aus-
nahmen bilden, verzichtet er durchweg völlig auf den Ruhm der
Grossartigkeit oder tiefer Erfindung. Seine Werke sind von kleinen,
oft miniaturartigen Dimensionen und dabei entweder Porträts, oder
genreartige Scenen, oder endlich, wenn Andachtsbilder, so aufgefasst,
dass die heiligen Gestalten in die vollste irdische Wirklichkeit ver-
setzt sindxund die lebenstreue Darstellung aller Gegenstände bis in
das kleinste Detail zur Hauptaufgabe des Künstlers geworden ist.
Gegen das Bestreben der älteren Meister etwa der Kölner Schule,
ihre Gestalten schlank, die Gesichtszüge zart und geistig zu bilden,
scheint er fast in bewusster Opposition zu stehen. Der typisch stren-
gen bewegungslosen Haltung des Christnskopfes, wie sie in Flandern
1) S0 die zwei Flügelbiider (Kreuzigung und Weltgericht), welche der russische
Gesandte Tatitscheff in Spanien gekauft hatte und Passavant im Kunstblatte
1841 N0. 3 beschreibt. So ferner die jetzt; im Museum zu Madrid befindlichen
Stiftungsbilder des Magister Werlis aus Köln v. J. 1438, Passavant: Christ-
liche Kunst in Spanien und Waagen bei v. Zahn, Jahrbücher für Kunstwissen-
schaft I. 47.