Genter Altar.
der Brüder am
Antheil
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versucht oder den ihm bekannten Intentionen seines Bruders an-
geschlossen hat. Auf den Aussenseiten kommt Einzelnes vor, das
leichter oder flüchtiger behandelt ist, als die Innenbilder; aber das
ist bei so grossen Werken nichts Ungewöhnliches, und wenn wir da-
bei eine Mitwirkung von Schülern annehmen wollen, so ist doch
nichts da, was "eine Divergenz zwischen zwei bedeutenden Meistern
verriethe. Und noch weniger lasst sich auf den anderen Tafeln etwas
der Art nachweisen. Das ganze Werk macht vielmehr den Eindruck
vollkommenster Harmonie, und es ist ein fruchtloser und gefährlicher
Versuch, scheiden zu wollen, was sich nicht von selbst ablöst. Halten
Wir uns vielmehr an das Unzweifelhafte. Hubert hat das Werk be-
gonnen, die Erfindung und zwar, da sich hier keine Trennung denken
lasst, des Ganzen in allen seinen wesentlichen Theilen stammt von
ihm. Wir können dies um so mehr mit Gewissheit sagen, als Johann
in keinem seiner eignen Gemälde eine Neigung zu ähnlichen tief-
sinnigen Beziehungen blicken lasst. Wie weit Hubert mit der Ausführung
gekommen, können wir nicht sagen; wir haben leider nicht einmal
eine Nachricht, wann er die Bestellung erhalten, wie viele Jahre er
selbst daran gearbeitet habe. Wahrscheinlich ist es freilich, dass er
bereits die Zeichnung des Ganzen angelegt hatte, da dies bei so uni-
fassendem Werke für die Ausarbeitungen der einzelnen Theile nöthig"
War, und da ohne eine anschauliche Anlage weder Jodocus Vydts
das Verlangen, noch Johannes den hinth der völligen Ausführung
gehabt haben würde. Das Wort: er begann (incepit), möchte sogar
schon auf ein weiteres Stadium, auf einen Anfang der Ausführung
deuten. Johann aber vollendete, und die Vollendung setzt bei einem
so grossen Werke auch eine Stimmung der später gearbeiteten Theile
zu den früheren voraus. Er konnte daher nicht umhin, auch die
vielleicht schon von seinem Bruder fertig gestellten Tafeln noch zu
berühren, wo dies nöthig war. An einzelnen Stellen, wo jene Vor-
arbeit unvollkommen war oder Lücken liess, wird er dann mehr hinzu-
gesetzt haben; das Landschaftliche mag von ihm weiter ausgeführt sein.
Die südliche Vegetation auf der Tafel der Einsiedler kann schwerlich
von Hubert herrühren, sondern wird erst von Johannes nach Studien
ausgearbeitet sein, die er in Portugal bei seiner Reise im Jahre 1428
gemacht hatte. Aber dass es ihm möglich war, das Ganze trotz
dieser getheilten Arbeit so harmonisch zu vollenden, beweist, dass
die Technik beider Brüder eine genau übereinstimmende war, dass
also Hubert die Oelmalerei genau in derselben Weise ausübte, wie
sein Bruder. So lange man, wie Vasari und wie alle Schriftsteller
der vorigen Jahrhunderte, die neue Erfindung bloss in das chemische