Neuere archivalische Forschungen.
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man sich auf das wichtige Buch stützte und logische Schlüsse aus
seinen Angaben zu ziehen suchte. Der Versuch, die bei steigender
Vorliebe für diese ältere Schule zahlreich zum Vorschein kommenden
Gemälde unter die bei van Mander genannten Maler zu vertheilen,
führte zu einer Menge von gewagten und wechselnden Hypothesen,
die bald wieder aufgegeben werden mussten, und erzeugte den Wunsch,
durch das Studium der jetzt wohlgeordneten und zugänglichen Archive
einen festen Boden für die Kunstgeschichte zu erlangen. Der hier-
durch angeregte Eifer der Forschung hat uns denn auch eine reiche,
noch täglich wachsende Ausbeute urkundlicher Notizen verschafft, die
zum Theil sehr fruchtbare Aufklärungen über die Lebensschicksale
der bedeutenderen Künstler und dadurch über ihr Verhältniss zu
den ihnen zugeschriebenen Gemälden gewähren, daneben aber auch
neue Schwierigkeiten erregen. Wir erfahren nämlich dadurch, dass
neben der kleinen Zahl von bereits bekannten Künstlern eine sehr
viel grössere Zahl bisher völlig unbekannter existirte, und darunter
nicht wenige, welche nach der Bedeutung der ihnen ertheilten Auf-
träge und der Höhe der ihnen bewilligten Zahlung bei ihren Zeit-
genossen in gleicher oder gar grösserer Achtung gestanden zu haben
scheinen. Es wird dadurch zweifelhaft, ob jene Künstler, deren Namen
wir durch van Mander, also eigentlich auf dem Umwege über Italien,
erfahren haben, diesen Vorzug ausschliesslich ihrem Verdienste ver-
danken, so dass sie wirklich die höhere Kunst jener Zeit repräsen-
tiren, oder 0b dabei der Zufall mitgespielt, so dass unter jener grossen
Zahl der bloss urkundlich bekannten neben der Masse bloss hand-
werklicher Arbeiter auch einzelne bedeutende Meister verborgen sind,
denen die Geschichte ihre richtige Stelle vindiciren müsste. Dieser
Zweifel kommt namentlich da zur Sprache, wo vorzügliche Gemälde
dieser Schule ohne zuverlässige Angabe ihres Urhebers auf uns ge-
langt sind. Nach der bisherigen Praxis war man gewohnt, solche
Gemälde nach ihrer anscheinenden Verwandtschaft mit anderen einem
jener bekannten Namen zuzuschreiben. Bei der jetzigen Lage unserer
Kenntnisse erscheint dies zu gewagt; man wird sich beschränken
müssen, dies nur da zu thun, wo sehr bestimmte, nachweisliche An-
zeigen für die Identität des Meisters sprechen, im Uebrigen aber den
Namen des Urhebers dahingestellt sein zu lassen. Der Nachtheil,
der dadurch entsteht, ist nicht so gross, wie er auf den ersten Blick
scheinen könnte. Die flandrische Schule ist noch nicht in dem Grade,
wie die späteren Schulen, von der Persönlichkeit der Meister ab-
hängig. Sie trägt zwar an sich und durch den mächtigen Aufschwung,
mit dem ihre ersten Begründer sich über die bisherige Ueberlieferung