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Hubert und Johann van Eyck.
Interesse und auch sonst enthalten seine Angaben manches Belehrende,
aber sie sind ohne Ordnung und Kritik zusammengestellt, oft nur
dem Reim zu Liebe und können mithin den Mangel einer historischen
Arbeit in keiner Weise ersetzen. Von der Vorliebe für die heimische
Kunst giebt ausser dem Gedichte des Lemaire die Gemaldesammlung
seiner Gebieterin, der Erzherzogin Margarethe, deren Inventarium
wir besitzen 1), von dem regen Kunsttreiben dieser Gegend das Tage-
buch Albrecht Dürer's über seine niederländische Reise in den Jahren
1520 und 1521 den vollständigsten Beweis. Allein dennoch fand sich
auch jetzt noch Niemand, der die damals noch leicht zu erlangenden
Nachrichten über die Lebensverhältnisse der Künstler und über die
Entstehung ihrer Werke gesammelt und aufgezeichnet hätte; Vasari's
Werk war daher gerade für die nordischen Kunstfreunde eine höchst
überraschende, Epoche machende Erscheinung, es öffnete ihnen plötz-
lich die Augen und erweckte ganz neue Gedanken in ihnen. Wir
besitzen zwei Briefe an Vasari, welche dies in sehr lebendiger Weise
äussern, beide ohne andere Veranlassung, bloss aus Dankbarkeit für
den Gewinn, den ihnen die Lectüre gewahrt, an Vasari gerichtet.
Dominicus Lampsonius, ein Gelehrter und Sekretär des Bischofs von
Lüttich, hat italienisch gelernt, um dies Buch lesen zu können und
ist durch dasselbe in dem Grade künstlerisch angeregt, dass er sich
nun selbst im Zeichnen und Malen versuchte. Lambert Lombardus,
bekanntlich ein bedeutender Künstler, fasst das Kunsthistorische in's
Auge, will der Verwandtschaft des Giotto und Gaddi mit nordischer
Kunst weiter nachforschen und giebt einige nicht uninteressante
Schilderungen deutscher und niederländischer Meister e). Beide Brief-
Nachricht über das Werk des Lemaire und Auszüge aus demselben, dessen zu
Lyon 1549 gedruckte Ausgabe überaus selten ist, bei De Laborde, les ducs de
Bourgogne. Vol. I. Introduction p. XXIV. tf., bei Crowe und Cavalcaselle, und be-
sonders in den Noten von Pinchart a. a. O. p. 220.
1) L. de Laborde, Inventaire des tableaux, livres, joyaux et meubles de Mar-
guerite d'Autriche. Paris 1850.
2) Der Brief des Lampsonius (v. 30. Oktober 1564) ist von Vasari seiner
zweiten Ausgabe einverleibt (Vgl. die Ausgabe Lemonnier XIII. S. 156), der des Lom-
bardus v. 27. April 1565 findet sich bei Gaye Carteggio III. p. 173. Sehr merk-
würdig ist sein Urtheil über die mittelalterliche Kunst, wie er sie in Lüttich auf
Glasgemälden und in Broncereliefs (er denkt vielleicht an das Taufbecken des Lambert
Petras) sehe. Obgleich hier die Figuren meistens auf den Fussspitzen Ständen
und auch sonst mehr nach der Ueberlieferung als nach eignen Studien der Natur
gemacht seien, gäben sie ihm mehr zu denken und befriedigten ihn mehr, als
manche aus den letztenrhundert Jahren. Meister Roger und Johann von Brügge
hatten zwar den Künstlern in Betreff des Colorits die Augen geöffnet, ihre Nach-