Volltext: Geschichte der bildenden Künste im 15. Jahrhundert (Bd. 8)

Durchdringung germanischer und romanischer Anlagen. 
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lastisch durcharbeitete, auf der Autorität der Kirche ruhende Lehre 
genügte, verlangte der republikanische Sinn des germanischen Nieder- 
länders eine Ueberzeugung durch eigenes Gefühl, eine reale An- 
schaulichkeit. Er sehnte sich daher nach tieferer Wahrheit, nach 
kräftigerem Ausdrucke der Individualität, nach der vollen religiösen 
Poesie der Natur. Es bedurfte dazu der Begründung einer neuen 
Kunstrichtung. Bei jenen Leistungen auf französischem Boden hatten 
neben dem Flamländer, Limburger, "Holländer auch Wallonen mit- 
gewirkt; wie andere germanische Eigenschaften war auch das Natur- 
gefühl, soweit es dazu nöthig war, auf sie übergegangen. Aber dieser 
höheren schöpferischen Aufgabe waren sie nicht gewachsen, diese 
konnte nur da gelöst werden, wo alle dazu erforderlichen Elemente 
in höchster selbstthätiger Kraft zusammentrafen. Dies war der Vor- 
zug der flandrischen Gegend, deren rein germanische Bevölkerung 
nicht bloss durch ihre geographische Stellung, sondern auch durch 
politische Beziehungen in stete Berühung mit Frankreich und selbst 
mit dem französischen Königshause gerathen war. Mit ihren öst- 
lichen Nachbarn in Limburg und Holland theilten sie den entschie- 
denen Realismus, die durch die Natur des Landes begünstigte male- 
rische Anlage und endlich jene von den Mystikern ausgehende, innige 
und demüthige Frömmigkeit. Aber schon hier mochte ein Unterschied 
zwischen beiden Regionen eintreten, indem im Osten die Fraterhäuser 
wirkten, welche vor Allem auf strenge Zucht und auf verständige 
Nüchternheit hinarbeiteten, während in Brabant und Flandern, be- 
sonders durch die von Johann Ruysbroek (t 1381) im Kloster Groe- 
nendael gestiftete Schule mönchischer Devotion, jene ältere Richtung 
der Mystik sich erhielt, welche vor Allem auf fromme Liebesgluth 
drang und durch die Mittheilung von Visionen, sowie durch eine 
poetisch-allegorische Färbung der Sprache die Phantasie stärker in 
Anspruch nahm. Dazu kam denn die mächtige Anregung, welche 
einerseits der grossartige Handelsverkehr mit den verschiedensten 
Nationen, andrerseits das Festleben am burgundischen Hofe, das phan- 
tastische Schauspiel der französich gebildeten Ritterschaft gewährte, 
dann aber vor Allem das lebendige Selbstgefühl, welches die Freiheit 
und die Blüthe der mächtigen Städte den Bürgern einfiösste. Die 
Innigkeit, die Naturliebe und der Idealismus des deutschen Volkes 
waren daher hier ein Mal mit dem formellen Talent für Ordnung und 
Eleganz, das sich in Frankreich ausgebildet hatte, und mit der dem 
keltischen Stamme eigenen Präcision und Entschiedenheit auf das 
Engste verbunden, und da der Reichthum nicht fehlte, der zu umfassen- 
den Stiftungen die Neigung und die Mittel gab, so ist es begreiflich, 
7.
	        
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