Niederländische. Poesie.
thaten der Helden und der Spitzfindigkeit ihrer Gefühle ein un-
glaubiges Lächeln oder einen leichten Spott kaum unterdrücken.
Dass sich dennoch diese Uebersetzungsliteratur so lange erhielt, ver-
dankte sie theils der engen Verbindung des niederländischen Adels
mit der französischen Ritterschaft, theils den mystiscli-christlichen
Elementen, die dieser romantischen Poesie beigemischt waren, und
sie auch den Städtern empfahlen. Aber dennoch fasste diese Romantik
keine festen Wurzeln, brachte keine Nachahmungen hervor, sondern
eine Opposition, welche dann eine bestimmtere Gestalt annahm und
eine andere Gattung von Gedichten erzeugte, die dem niederländischen
Volkscharakter besser entsprach. Dahin kann man zuerst das um
die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts entstandene berühmte Ge-
dicht von Reinaert dem Fuchs zahlen, das sich zwar auch als Be-
arbeitung eines französischen Gedichtes gab 1) aber dem Stoff nach
alten und wahrscheinlich niederdeutschen Ursprunges war. Der Be-
arbeiter verfuhr mit grössester Freiheit und schuf, daraus ein Ganzes
von durchaus niederländischem Charakter mit wahrhaft plastischer
Anschaulichkeit und obgleich im Gewande der Thierfabel mit prak-
tischer Anwendbarkeit und moralischer Tendenz. Fast gleichzeitig
begann die Gattung, welche nachher am meisten gedieh, die didak-
tische Dichtung, als deren frühester Vertreter jener Jakob van Maer-
lant (f nach 1291) erscheint, den man den Vater der niederländischen
Dichtkunst genannt hat. Das Ziel seiner zahlreichen, aus vielen
Tausenden von Versen bestehenden Werke ist durchaus reale Wahr-
heit und praktische Belehrung. Sein Hauptwerk, der Spiegel Historiael,
eine populäre Bearbeitung der betreffenden Abtheilung aus dem
grossen Speculum des Vincentius von Beauvais, bekämpft ausdrück-
lich die französische Poesie, „die Lügensprache des Gral und Parcival",
und sucht seine Leser in die Weltgeschichte einzuführen, welche
zwar durch die Sünde eine Kette von Kämpfen und Widersprüchen
geworden, aber eben deshalb eine reiche Quelle der Belehrung sei,
die er dann durch zahlreiche Excurse zugänglich zu machen sucht.
Im vierzehnten Jahrhundert stieg dies lehrhafte Element; das ritter-
liche Epos verschwand oder wurde zu prosaischen Romanen ver-
arbeitet und man liebte kürzere Gedichte, welche entweder Erzählungen
mit praktischer Nutzanwendung oder Erörterungen über sittliche oder
religiöse Fragen enthielten und entschädigte sich für diesen etwas
trockenen Ernst durch derbe Possen, in denen menschliche Sünden
und Schwächen dem Lachen Preis gegeben wurden. Je mehr so die
1) J onckbluet a.
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