Volltext: Geschichte der bildenden Künste im 15. Jahrhundert (Bd. 8)

Flandrischer Volkscharakter. 
für das Kindliche und Naive, für das Anmuthige und Zarte und 
endlich für die Schönheit der landschaftlichen Natur. Man könnte 
glauben, dass sie jene rauhen Formen angenommen haben, um sich 
gegen ihre eigene innere Weichheit zu schützen, oder um das Zarte 
durch den Contrast des Groben zu heben. 
In gewissem Grade sind diese Charakterzüge dem gesammten 
niederdeutschen Stamme, allen Bewohnern unserer nördlichen Küste 
gemeinsan; in ihrer höchsten und günstigsten Ausbildung zeigen sie 
sich aber in dem westlichen Theile dieser Region, im niederländischen 
Volke, vor Allem in den Provinzen, welche jetzt den belgischen Staat 
bilden. Zwischen Deutschland und Frankreich gelegen, damals noch 
meistens der Lehnshoheit des deutschen Reiches, zum Theil aber 
auch der der französischen Krone unterworfen, auch der Abstammung 
nach getheilt, theils germanischen, theils romanischen Ursprungs, ver- 
binden sie mehr oder weniger die Eigenschaften beider Nationen. 
Die Wallonen, die Bewohner von Lüttich, vom Hennegau, der süd- 
lichen Theile von Brabant und Flandern, sind trotz ihrer franzö- 
sischen Sprache nicht völlige Franzosen; sie haben nicht die abstract 
verständige Consequenz, sind derber aber auch gutmüthiger, aus- 
dauernder, geduldiger. Und ebenso haben die germanischen Nieder- 
länder, vielleicht schon durch eine stärkere Beimischung keltischen 
Blutes, vielleicht nur durch die stete Berührung und Mischung mit 
romanischen Stämmen, gewisse Züge, welche sie diesen annähern und 
von den deutschen unterscheiden. Selbst bei den Holländern ist 
dies erkennbar, noch mehr aber bei den Brabantern und Flamländern. 
Jene eigenthümliche Bescheidenheit, Formlosigkeit, Unbestimmtheit, 
welche den Deutschen anhaftet und ihnen ein energisches Handeln 
erschwert, die übertriebene Gründlichkeit, die sie verleitet, über dem 
Einzelnen die Harmonie des Ganzen zu vernachlässigen, fällt hier 
ganz fort und an ihre Stelle tritt eine grosse Entschiedenheit, ein 
starkes Selbstbewusstsein, ein Wohlgefallen an kräftigem Ausdrucke, 
das sogar leicht das richtige Mass überschreitet und so prunkhaft 
überladen oder in anderer Weise formlos wird. Da aber auch dies 
jene inneren Eigenschaften, die wir oben geschildert, namentlich das 
warme Gefühl für Religion und Natur nicht beeinträchtigt, so iSt es 
begreiflich, dass dadurch die künstlerische Aeusserung desselben eher 
gefördert als gehemmt wird.  
Die Geschichte gestattet uns, die allmälige Entstehung und 
Ausbildung dieser Nationalität und ihrer künstlerischen Anlage ziem- 
lich genau zu verfolgen. Ihren Sitz haben beide, trotz der Bedeutung, 
welche das romanische Element für sie hatte, in den germanischen
	        
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