Persönliche Ausübung der Kunst.
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der bisher Berechtigten als der Vertheidiger des Neuen, trübte
überall den Gedanken. Die Kunst dagegen bot weniger Hindernisse,
besonders da sie ihre Arbeit nicht mit der Architektur zu beginnen
hatte, sondern mit derjenigen unter den bildenden Künsten, in der
die Phantasie sich am freiesten ergehen kann, mit der Malerei. Sie
durfte daher kühner vorgehen und die Gedanken andeuten, die erst
später im Leben durchdrangen.
Damit hing dann ferner zusammen, dass die Persönlichkeit der
Künstler bedeutend mehr in den Vordergrund trat. Die Kunst des
Mittelalters war (allenfalls mit Ausnahme Italiens) unpersönlich ge-
wesen; schon der kirchliche und architektonische Charakter, der in
ihr vorherrschte, brachte dies mit sich. Die Werke gingen von Cor-
porationen, von der Bauhütte, von zünftigen Meistern aus, die nur
darauf Anspruch machten, den hergebrachten Anforderungen zu ge-
nügen. Jetzt nahm dies Alles eine andere Wendung. Die Kunst
schöpfte nicht mehr aus der Tradition, sondern unmittelbar aus der
Natur und aus dem eigenen Gefühle der Künstler. Diese Waren da-
her auf sich selbst angewiesen, sie hatten auf dem weiten Gebiete
der Natur keinen andern Führer, als ihr ahnendes Verständniss.
Sie mussten auch bei der weiteren Ausführung sich dieser höchst
persönlichen Stellung bewusst bleiben. Der Ausdruck des individuellen
Gefühls war nicht, wie man es jetzt leicht auffasst, eine Sache des
Selbstbewusstseins, sondern eine Pflicht der Bescheidenheit. So lange
die Kunst mit architektonischer Regelmässigkeit verfuhr, war sie die
Vertreterin des allgemeinen Bewusstseins, konnte sie gleichsam mit
kirchlicher Machtvollkommenheit sprechen. Sobald sie persönliche
Empfindungen ausdrücken sollte, durfte sie nur in der demüthigen
Haltung des Einzelnen auftreten.
Diese persönliche Stellung der Kunst äusserte sich sogleich bei
der Ausübung und Verbreitung der neuen Erfindung. Vasari erzählt
ausführlich, dass die Brüder van Eyck aus derselben ein Geheimuiss
gemacht und sie erst spät einigen Schülern mitgetheilt hätten, dass
namentlich Antonello da .Messina, durch den Anblick einiger ihrer
nach Italien gelangten Bilder bestimmt, nach Flandern gegangen sei,
die Gunst Johanifs van Eyck erworben habe und so von ihm in
jenes Geheimniss eingeweiht und der Verbreiter desselben in Italien
geworden sei. Es ist möglich, dass die Brüder wirklich dem nei-
dischen Gebrauch ihrer Zunftgenossen gefolgt sind, aber es bedurfte
kaum einer absichtlichen Geheimhaltung; es handelte sich ja nicht
um ein chemisches Recept oder um vereinzelte Handgriffe, die leicht
mittheilbar waren, sondern um eine ganz neue Kunst, um vielseitige