Volltext: Geschichte der bildenden Künste im 15. Jahrhundert (Bd. 8)

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Anfänge einer Neugestaltung der 
der Alpen, 
Kunst bei den Völkern nördlich 
Diese Resultate waren aber keinesweges identisch. Indem nämlich 
die Vertretung der Kunst gerade den beiden Nationen zugefallen 
war, bei welchen sich die Reinheit des Blutes am meisten erhalten 
hatte, trat auch der Gegensatz des Romanischen und Germanischen 
sofort in der Kunst zu Tage. Gerade hier war dieser Gegensatz 
sehr fühlbar und es ist sehr merkwürdig, dass er sich bei beiden 
Völkern zugleich und so frühe geltend machte, so dass die Re- 
naissance schon bei ihrem Beginne gleichsam in zwiefacher Form 
auftrat. Bei den romanischen Völkern hatte sich selbst in der Zeit 
des tiefsten Verfalls der Begriff der Schönheit und die Kunde von 
der Bedeutung und Würde der Kunst in traditioneller Geltung er- 
halten. Sie betrachteten diese als ein nothwendiges Erforderniss des 
Volkslebens oder doch als einen Gegenstand des Ruhmes und des 
Wetteifers, wie dies die pomphaften Inschriften beweisen, welche wir 
in Italien oft neben den rohsten Leistungen des Meissels und des 
Pinsels antreffen. Die Kunstliebe war daher bei ihnen leicht wieder 
angeregt und konnte sich zu kräftiger Begeisterung steigern. Die 
germanischen Völker dagegen betrachteten die Kunst mehr von dem 
Standpunkte der Nützlichkeit und der Wahrheit, sie war ihnen vor- 
zugsweise Dienerin der Religion oder Mittel der Erkenntniss. Jene 
suchten daher den Genuss der schönen Form, das dem Auge Ge- 
fällige und wandten sich deshalb gern der Antike zu, in welcher sie 
dieselbe bereits vorbereitet fanden. Diese legten grösseren Weith 
auf die Bedeutung der Gegenstände, hielten sich bei ihrer Dar- 
stellung strenger an die Wirklichkeit und glaubten selbst die herben 
und unschönen Züge derselben nicht übergehen zu dürfen. Beide 
fassten also die Kunst einseitig und von entgegengesetztem Stand- 
punkte auf, aber eben dadurch ergänzten sie sich gegenseitig und 
eigneten sich zu fruchtbarer Wechselwirkung. , 
Zu dieser Verschiedenheit der künstlerischen Richtung kamen 
jetzt die politischen und religiösen Gegensätze beider Völker. Der 
Verfall der mittelalterlichen Institutionen, den man jenseits der Alpen 
mit Trauer oder doch mit Besorgniss betrachtete, erschien den 
Italienern vielmehr als eine Befreiung. Der hartnäckige Kampf des 
Kaiserthums und Papstthums war geschlichtet oder wurde wenigstens 
nicht mehr auf den italienischen Feldern ausgefochten. Italien war 
sich selbst überlassen und konnte sich als frei und selbständig be- 
trachten. Auch sonst war das Land in einem blühenden und erfreu- 
liehen Zustande; die früh entwickelte Civilisation hatte ihre Früchte 
getragen, Handel und Gewerbe blühten und beherrschten den euro- 
päischen Markt, die Städte waren reich und mächtig. Italien, das
	        
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