Volltext: Geschichte der bildenden Künste im 15. Jahrhundert (Bd. 8)

Kunst eine Vorbereitung zu schärferer 
Die 
Naturbeobachtung. 
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ja fast unentbehrliche Gehülün. Nicht dass sie fähig gewesen wäre, 
durch getreue Abbildung die Anschauung der Dinge selbst zu er- 
setzen; von solcher Genauigkeit war sie noch weit entfernt. Aber 
sie schärfte den Blick und nöthigte dazu, sich von den Anschauungen 
Rechenschaft zu geben, sie auf ihre Elemente zurückzuführen und 
die Form bestimmter aufzufassen. Sie gab gewissermassen eine An- 
leitung zum Beobachten und wurde überhaupt eine dem jugendlichen 
Charakter der Zeit entsprechende Vorschule für ernste wissenschaftliche 
Studien. Man begann mit Bildern, um sich auf Gedanken vorzubereiten. 
Wie früher das System des Mittelalters, war jetzt auch das Ge- 
fühl seiner Unhaltbarkeit und das Bedürfniss umfassender Neuerungen 
allen Völkern des Abendlandes gemeinsam. Sie nahmen daher auch 
alle an den darauf gerichteten Bestrebungen Antheil, und die bei 
einem dieser Völker gewonnenen Resultate fanden fast immer auch 
bei den anderen baldige und willkommene Aufnahme, wenn auch hin 
und wieder mit einigen für die Nationalität dieser Völker noth- 
wendigen Modificationen. Dagegen war der Gang der Entwickelung 
bei diesen Völkern keinesweges derselbe; jedes begann nämlich mit 
seinen Neuerungen auf dem Gebiete, wo es am weitesten vorgeschritten 
war und für das es sich am meisten interessirte und überliess da- 
gegen die Arbeit auf den anderen Gebieten den anderen Völkern, 
welche gerade für diese begabt waren. Es entstand dadurch eine 
Art von Theilung der Arbeit, natürlich unverabredeter und selbst 
unbewusster Weise, jedoch weil auf den Verhältnissen beruhend, 
welche früher durch die Natur der Dinge geschichtlich entstanden 
waren, mit einem Scheine von Gesetzlichkeit und Zweckmässigkeit. 
Dies zeigte sich denn auch besonders auf dem Gebiete der Kunst. 
Die Bücksichten, welche derselben zu statten kamen, machten sich 
bei allen Völkern geltend und verschafften ihr überall Pflege und 
Anerkennung, aber keinesweges zu gleicher Zeit und mit gleichem 
Erfolge. Es bildete sich hier ein sehr auffallender und merkwürdiger 
Gegensatz. Die beiden Länder, welche im Mittelalter die Träger 
der Herrschaft und der Schauplatz des grossen historischen Kampfes 
der Hierarchie und des Kaiserthums gewesen waren, Italien und 
Deutschland, blieben jetzt in politischer Beziehung zurück, gingen 
dagegen auf der Bahn künstlerischer Entwickelung den übrigen 
Völkern voran, während dagegen die drei grossen westlichen Nationen, 
Spanier, Franzosen und Engländer, von ihrer politischen Aufgabe in 
dem Grade hingenommen waren, dass sie die Kunst vernachlässigten 
und sich mehr oder weniger damit begnügten, die von jenen beiden 
Völkern gewonnenen Resultate sich anzueignen.
	        
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