Entschiedene Trennung romanischer und germanischer Elemente.
73
romanischen oder germanischen Vorältern ein trennendes Element,
welches im Anfange des Mittelalters bei dem überwältigenden Ein-
iiusse der Kirche kaum bemerkbar gewesen war, sich aber demnächst
bei der fortschreitenden Entwickelung der Nationalitäten mehr und
mehr ausgebildet hatte. So lange das System des Mittelalters mit
seiner Verschmelzung romanischer und germanischer Elemente sich
in seiner bindenden Kraft erhielt, blieb dennoch diese nationale Ver-
schiedenheit ohne tiefere Wirkung, jetzt aber, wo es sich als un-
haltbar ergab und ein noch unsicheres Suchen nach einer Erneuerung
erzeugte, gewann sie eine hohe praktische Bedeutung. Je mehr nam-
lich die Völker sich als romanische fühlten, desto stärker empfanden
sie die Uebelstande der auf germanischer Grundlage beruhenden
mittelalterlichen Institutionen und die Neigung, sie nach antiken An-
schauungen zu reformiren. Je mehr dagegen das germanische Ele-
ment überwog, desto grösser war die Anhänglichkeit an mittelalter-
liche Formen und Zustände und der Wunsch, sie nur "so weit zu
ändern, als nöthig war. Während daher alle Völker des Abendlandes
über die Nothwendigkeit einer Reform einig waren, wichen sie in
Beziehung auf die zu diesem Zwecke einzuschlagenden Wege von
einander ab. Es kam dadurch in die gemeinsame Arbeit von vorn
herein eine Verschiedenheit, die aber nicht hemmend, sondern be-
lebend und ergänzend wirkte, indem sie eine Auswahl unter ver-
schiedenen ähnlichen Formen gestattete und vor Einseitigkeit bewahrte.
An eine völlige, consequent durchgeführte Sonderung der romanischen
und germanischen Elemente war auch da, wo das eine oder andere
in der physischen Abstammung vorherrschte, nicht zu denken. Der
gemeinsame Geist des ganzen Abendlandes war ja schon eine Mischung
aus beiden Elementen. Auch die rein "germanischen Völker bedurften
des Anlehnens an die Antike, als an die Quelle ihrer höheren Bil-
dung , und auch die rein romanischen konnten sich der antiken
Empfindung nicht ganz hingeben, sondern hielten wenigstens auf ge-
wissen Gebieten an den mittelalterlichen, aus germanischer Wurzel
entstandenen Anschauungen fest. Keines beider Principien war ent-
behrlich. Das eigentliche, wenn auch nicht deutlich erkannte Ziel
des Kampfes war nicht die völlige Verdrängung des einen beider
Principien, sondern eher eine Verschmelzung, in welcher womöglich
die Vorzüge beider erhalten und keinem von beiden ein allzu starkes
Uebergewicht eingeräumt werden sollte. Unter dem Drucke der
entarteten mittelalterlichen Zustände suchte man Hülfe im Anschluss
an die wirkliche oder vermeinte Antike, sobald man aber mit der
Anwendung derselben vorgeschritten war, regte sich wieder die alte