und der Natur.
Wiedergeburt der Antike
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sich ausschliesslich durch fremde, aus ihrem Zusammenhange gerissene
Aussprüche früherer Schriftsteller leiten zu lassen und auf jede eigene
Beobachtung zu verzichten. Die Natur war dadurch in der That
gewissermassen verloren, sie war den Menschen aus dem Auge ge-
rückt. Jetzt hatte sich dies geändert, durch die fortschreitende
Civilisation war die Sitte natürlicher, die Natur verständlicher ge-
worden. Man fühlte sich von ihr angezogen, begann sie wieder mit
liebevollem Auge zu betrachten und sich ihr mehr zuzuwenden. Bei
Vielen nahm dies, wie wir oben sahen, eine religiöse Wendung; die
Natur war ihnen eine Offenbarung Gottes, welcheneben der Schrift
Berücksichtigung verdiente. Bei Anderen gestaltete es sich einfacher,
man betrachtete sie nur als eine Quelle der Erfahrung und des
Wissens, dann aber auch als die fruchtbarste und zuverlässigste
Quelle, welche im Vergleich mit den bisherigen Belehrungsmitteln,
mit der schriftlichen Offenbarung und der gelehrten Tradition den
grossen Vorzug leichterer Zugänglichkeit und tieferer Ueberzeugung
hatte. Auch diesen also war sie von höchster Bedeutung, und es ist
begreiflich, dass man sich trotz der sehr mangelhaften Vorkenntnisse,
die man besass, ihrer Beobachtung mit Leidenschaft hingab. Dies
war denn in der That eine Wiederherstellung der Natur für den
Menschen.
Diese doppelte Wiedergeburt fiel in gewissem Grade zusammen.
Der Unterschied der antiken Schriftsteller von den Scholastikern
bestand eben darin, dass diese sich auf vereinzelte überlieferte Satze
gründeten, während jene ihre Ueberzeugung aus der Totalität der
ihnen durch die Natur gewordenen Anschauungen schöpften. Das
Studium der antiken Schriften führte daher ebenso wie die un-
mittelbare Beobachtung in die Mitte der Natur. Beide Formen der
Wiedergeburt dienten also im Wesentlichen demselben Zwecke, und
es ist begreiflich, dass bei dem Scheitern des scholastischen Systems
man sich bald der einen bald der andern Quelle zuwendete, bald
vermittelst der alten Schriftsteller, bald durch eigene Beobachtung
Belehrung und Hülfe zu finden suchte. Der geistreiche italienische
Staatsmann und Schriftsteller Macchiavell spricht es in einer be-
rühmten Stelle als eine Regel aus, dass geistige Körperschaften,
Republiken oder Religionsgesellsehaften, um sich gesund zu erhalten,
von Zeit zu Zeit zu ihren Anfängen, wie er es mit einem vom Wett-
laufe entlehnten Gleichnisse ausdrückt: zum Zeichen (al segno) zurück-
kehren müssten. Dies war es in der That, was jetzt geschah. Die
Antike und in einem noch tieferen Sinne die Natur waren die Aus-
gangspunkte des Mittelalters gewesen, zu denen man sich jetzt, da