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bei
Anfange einer Neugestaltung der Kunst
der Alpen.
den Völkern nördlich
wir eine Jugendkraft von grosser Frische und voller Lebens-
fähigkeit.
Es waren in der That die ersten Anfänge einer lange anhalten-
den, geistigen Bewegung, welche allmälig zu einer Umgestaltung aller
Lebensformen führte.
Man bezeichnet diese geistige Bewegung gern mit dem Namen
der Renaissance, der Wiedergeburt, und dieser Name ist in mehr
als einer Beziehung bezeichnend. Man denkt dabei zunächst an die
Wiedergeburt der Antike, an das erneuerte Studium der antiken
Künste und Wissenschaften, welches in der That jetzt begann und
ein wesentlicher Factor der ganzen Bewegung wurde. Die christliche-
Bildung war von der griechisch-römischen Wissenschaft ausgegangen;
an ihr hatten die Kirchenvater, wenn sie auch zuweilen sich ihr
feindlich gegenüberstellten, ihre Schule gemacht, ihre Begriffe aus-
gebildet, und auch später waren die traditionell wiederholten Aus-
sprüche der antiken Schriftsteller als eine der vornehmsten Quellen
der Belehrung betrachtet. Allmälig aber hatte die anwachsende
scholastische Literatur das unmittelbare Studium der alten Schrift-
steller in den Hintergrund gedrängt. Man begnügte sich mit den
herausgerissenen, vereinzelten Sätzen aus ihren Werken, die man bei
den Kirchenvätern oder bei den scholastischen Lehrern vorfand und
hielt es für überflüssig oder unmöglich, auf die Werke selbst zurück-
zugehen. Jetzt, nachdem man an dem scholastischen Systeme irre-
geworden war, glaubte man auch die Gründe dieses Systems, die
Prämissen der logischen Schlüsse, auf denen es beruhte, näher prüfen
und deshalb statt der blossen Citate auch die Werke studiren zu
müssen, aus denen sie entlehnt waren. Man warf sich daher mit
leidenschaftlichem Eifer auf die Erforschung der klassischen Literatur
und gelangte dadurch, da äussere Umstände, die-Eroberung Con-
stantinopels durch die Türken, die herangereifte Civilisation Italiens,
die Erfindung der Buchdruckerkunst und Anderes diesen Bestrebungen
zu Statten kamen, zu bedeutenden wissenschaftlichen Resultaten, die
man wohl als die Wiedergeburt der antiken Literatur bezeichnen
konnte.
Zugleich war es aber eine Wiedergeburt noch tieferer Art, eine
Wiedergeburt der Natur. Das in unseren Tagen oft wiederholte
Wort der Naturfeindlichkeit des Mittelalters beruht zwar, wie wir
schon sahen, auf einem Missverständniss, aber dennoch war durch
eine einseitige Auffassung des Christenthums und durch die über-
triebene Werthschätzung der schriftlichen Tradition der Zusammen-
hang mit der Natur allzusehr gelockert. Man war dahin gekommen,