Doppelphysiognomie dieser Zeit.
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cipien mit Nothwendigkeit geltend. Die Dinge selbst sprachen für
sich. Durch die politischen Ereignisse des 14. Jahrhunderts und die
ruhig fortschreitende Civilisation warenedie V erliältnisse unverinerkt
in einer Weise umgestaltet, welche sie dem Systeme des, lviilttelaltärs
entzo Die veränderte Stellung der Kirche, die Besc rän ung er
feudaäen Zwischeninstanzen, die Gründung grosserä melirdodßä
wohlgeordneter Monarchieen, die Kriege, welche urci ie a ei zur
Sprache kommenden Fragen veranlasst wurden, die fortschreitende
Ausbildung der Nationen in Sitten und Gebräuchen, in Sprache und
Literatur, alles dieses gab neue Anschauungen und Bgdürfnäfß
welche mit "enem S steme unvereinbar waren und ein tie eres illl-
gehen auf die Natui der Dinge erforderten. Dableilergabl siclrrdann,
dass die bisherige Quelle der Belehrung, die sc oastiscie issen-
schaft eine sehr trübe und unsichere sei; man fühlte das Bedürfniss
freierer Forschung und suchte, statt sich mit einzelnen abgerissenen
Sätzen und Ueberlieferuiigen zu begnülgengt nacth; keiner kraftigeign,
aus der Anschauun des Ganzen gesc iöp en e erzeugung. le
grosse Aufgabe eine? ganz neuen Gestaltung der Wissenschaft zeigte
sich iin Hintergrunde. Dazu kam denn älltlliClßhdiltSS dileselbehBe-
wegung, wie in der Politik und in (er issensc a , sic auc im
gewerblichen und bürgerlichen Leben regte und hier jene Fülle von
neuen Erfindungen und Entdeckungen hervorrief, von der wir schon
oben sprachen und welche das Eintreten eines neuen Zeitalters auch
äusserlich unverkennbar bezeugten. Vor allem war es dann aber das
alniende Verständniss der so lange vernachlässigten Natur und der
erwachende Sinn für die Rechte der Individualität und des Ge-
müthes, welche die Geister mächtig belebten und das Bewusstsein
hervorriefen, dass man Erfahrung und Belehrung nicht bloss auf dem
zweifelhaften Wege scholastischen Beweises, sondern durch eigene
unmittelbare Beobachtung erlangen könne. Man fühlte, dass ein
weiteres Vorschreiten in dieser Richtung ganz neue, unerwartete
Resultate, eine völlig veränderte Anschauung der Welt und aller
Verhältnisse gewähren würde, dass man also am Eingange einer viel-
verheissenden inhaltreichen Zukunft stehe, man lebte in Hoffnungen
und bewegte sich mit zuversichtlicher Kühnheit und Unternehrlnunigs-
lust. S0 kam es, dass diese Zeit gewissermassen ein Doppe ant itz
trägt. Wenn wir sie in der hartnäckigen Bewahrung hergebrachter
Formen mit den Zeichen des Verfalls, in der Beibehaltung hohlen
Scheins einer längst entschwundenen Jugendlichkeit beobachten, er-
scheint sie uns mit greisenhaften Zügen; wenn wir sie dagegen in
der Berührung mit der fast unbekannten Natur antreffen, erkennen