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Sitten,
Gebräuche, Literatur.
zur Abhaltung der Beichte geben, existirten schon lange; die mangel-
hafte Bildung vieler Geistlichen machte sie nöthig, man bezeichnete
sie auf dem Titel als für "ungelehrte Priester" geschrieben. Jetzt
fand man, dass solche Anleitungen auch den Laien dienen könnten,
um sich auf die Beichte vorzubereiten. Schon Gerson, der berühmte
Kanzler der Pariser Universität, hatte ein umfassendes Werk dieser
Art publicirt, welches er ausdrücklich nicht bloss für die Beichtvater,
sondern für alle weltliche und geistliche ungelehrte Personen und
namentlich für die Jugend bestimmte. In Deutschland fand dieser
Gedanke den lebhaftesten Anklang, es erschienen zahlreiche, populär
gefasste und durch Beispiele "und Erzählungen erläuterte Werke
dieser Art 1). Man nannte sie Beichtspiegel, und zwar nicht bloss
in der im Mittelalter herkömmlichen Anwendung des Wortes Spiegel
als eines Compendiums (des zusammenfassenden Bildes einer Wissen-
schaft), sondern mit der ausgesprochenen Nebenbedeutung, dass sie
ein Mittel der Selbsterkenntniss seien, dem Leser ein Bild seiner
Seele geben sollten. Die Anordnung dieser Werke war gewöhnlich
eine ganz scholastische, man zählte sammtliche Sünden nach der her-
gebrachten Classification, also die Todsünden voran, der Reihe nach
auf, fügte dann wohl auch andere Kategorieen hinzu, die zehn Ge-
bote, die fünf Sinne, die sechs Werke der Barmherzigkeit, die sieben
Gaben des heiligen Geistes, die acht Seligkeiten u. s. f., um direct
oder durch den Gegensatz Erinnerungen an begangene Sünden zu
erweckeng). Im Laufe des fünfzehnten Jahrhunderts gewohnte man
sich, die Aufgabe zu vereinfachen, indem man ausschliesslich die
zehn, Gebote zu Grunde legte.
Sehr bezeichnend für die Tendenz dieser Literatur ist das schon
im Jahre 1407 verfasste Volksbuch: Der Seele Trost, welches das
ganze Jahrhundert hindurch beliebt war und in zahlreichen, theils
hoch-, theils niederdeutschen Handschriften, sowie in sechs in den
Jahren 1478 bis 1485 an verschiedenen Orten und in verschiedenen
Dialekten gedruckten Ausgaben existirtg). Das Werk selbst ist
übrigens nur ein gut redigirter Beichtspiegel. Der ungewöhnliche
Titel bezieht sich, wie die Einleitung ergiebt, auf die Stelle des
Evangeliums, wonach der lliensch nicht allein vom Brode lebt, son-
dern von jedem Wort aus dem Munde Gottes. In der Betrachtung
1) Auszüge aus solchen Werken und überhaupt nähere Belege über die im
Texte angeführten Thatsachen giebt Geffcken a. a. O.
2) Geffcken a. a. O. Sp. 119 der Beilagen. Vgl. auch Passavant a. a. O. I.
39-46.
3) Geffcken a. a. 0. S. 45 und. Beilage S. 98.