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Sitten,
Literafur.
Gebräuche,
selbst die niedrigsten, erzeugte den Wunsch, diesem Bedürfniss zu
genügen und wirkte dahin, dass gerade in Deutschland wichtige Er-
findungen gemacht wurden, welche dann auch den anderen Völkern
zu Gunsten kamen und die ganze Gestalt der Literatur änderten.
Im Mittelalter hatte man keine andere Vervielfältigung der
Bücher gekannt als die durch Abschriften; die Anfertigung derselben
wurde daher zuerst in den Klöstern, dann auch von Laien gewerblich
betrieben, erforderte aber immer einen Aufwand von Zeit und daher
von Kosten, welche die ärmeren Klassen von ihrer Erwerbung und
Benutzung ausschloss. Schon im vierzehnten Jahrhundert regte sich
jedoch die Leselust auch in den minder begüterten Klassen, welche
geringere Preise zahlten und dafür mit iiüchtig und schlecht ge-
schriebenen Manuscripten vorlieb nahmen. Männliche Hände ge-
nügten daher nicht mehr, und wir finden nicht selten Manuscripte,
in welchen eine Schreiberin sich mit Namen nennt, oder doch sich
als "scriptrix" oder "schriversche" der Fürbitte des Lesers em-
pfiehlt. Indessen auch, so blieb die Beschaffung der Bücher schwierig
und kostspielig, und es konnte nicht fehlen, dass der Wunsch nach
einer bequemen, mehr fabrikmässigen Vervielfältigungsart sich regte.
Noch dringender vielleicht, als bei Büchern, war dieser Wunsch
bei bildlichen Darstellungen. Bilder waren das ganze Mittelalter
hindurch ein unentbehrliches Mittel der Andacht sowohl als der Be-
lehrung gewesen; man nannte sie „die Bibel der Armen", weil sie
den Ungelehrten die Kunde mittheilen sollten, welche der Gelehrte
durch das Lesen der Schrift empfing. Gerade jetzt, wo die ge-
steigerte religiöse Sehnsucht und ein eifriges Streben nach Beleh-
rung auch die unteren Klassen ergriffen hatte, war diese Bedeutung
der Bilder noch gewachsen. Es genügte nicht mehr, die Gemälde
in den Kirchen aufzusuchen; die Andacht, die überhaupt persönlicher
geworden war, erforderte unmittelbare Nähe, häuslichen Besitz, un-
gestörte Benutzung. Schon Suso hatte den Frommen gerathen, sich
etwas „guter Bilder" zu verschaffen. Der Erwerb von Tafelgemäilden
un_d Miniaturen war aber nur den Reichen möglich und es kam da-
her darauf an, eine Vervielfältigungsart zu erfinden, welche auch den
weniger Bemittelten die Anschaffung gestattete.
Zum Glücke war dies hier weniger schwierig als bei den Büchern.
Stempel, die zum Abdruck bestimmt waren, hatte man schon längst
gekannt. Im vierzehnten Jahrhundert finden sich vereinzelte Bei-
spiele von bedruckten Stoffen. Endlich gaben die gegen Ende dieses
Jahrhunderts aufgekommenen Spielkarten die Veranlassung zur fabrik-
massigen Anwendung eines solchen-Verfahrens. Anfangs hatte man