Volltext: Geschichte der bildenden Künste im 15. Jahrhundert (Bd. 8)

Belehrung. 
Bedürfniss nach 
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Feinheit der Sitten und Begriffe einigen Reiz. Allein dieser formelle 
Vorzug ist mit" einer materiellen Beschränkung verbunden; sie sind 
vollendeter, weil sie geringere Ansprüche machen, weil sie sich in 
dem engen Kreise conventioneller Begriffe gefallen, weil sie die Sehn- 
sucht nach tieferer Erkenntniss und vollerer Wahrheit, welche die 
Deutschen so mächtig bewegte, nur schwach empfanden. Bei diesen 
dagegen stehen umgekehrt die formellen Mängel mit dieser Sehn- 
sucht in innerem Zusammenhangs. Dieselben politischen und kirch- 
lichen Verhältnisse, welche der Ausbildung feinerer Sitten und be- 
friedigender Zustande entgegenwirkten, erzeugten auch den Drang 
nach Erforschung der Ursachen jener Uebelstände, nach besserem 
Wissen. Auch die Dichter bleiben daher nicht in den Grenzen cou- 
ventioneller Begriffe und persönlicher Gefühle; "sie wollen ihrerseits 
dazu beitragen, die Dinge selbst kennen zu lernen, sie häufen Stoff- 
liches in dem Grade, dass sie dasselbe nicht mehr zu beherrschen 
und zu ordnen vermögen. Aber wenn man sich durch diese Form- 
losigkeit nicht zurückschrecken lässt, wird man doch auch bei ihnen 
Anziehendes finden. Sie sind wenigstens ehrlich, frei von Affectation 
und preciöser Hohlheit, sie erfreuen durch die Treuherzigkcit, durch 
die Gutmüthigkeit, welche jeder Erscheinung eine günstige Seite 
abzugewinnen weiss, durch die unzerstörbare Heiterkeit und Lebens- 
lust, wenn sie auch derb auftritt, durch den ahnenden Sinn, der 
manchmal Feineres empfindet, als er auszusprechen vermag und be- 
sonders endlich durch das tiefe Streben nach Wahrheit und Be- 
lehrung. 
In dieser Beziehung gingen die Deutschen den anderen Völkern 
voran, so sehr sie ihnen in politischer Entwickelung und in der 
Bildung bequemer Lebensformen nachstehen mochten. Der Wunsch 
besserer Erkenntniss, tieferen Eindringens in die Natur der Dinge, 
um so den Damm conventioneller BegriiTe, der die Völker des 
Mittelalters umgab, zu durchbrechen und der Individualität freiere 
Bewegung zu schaifen, war dem ganzen Abendlande gemein. Aber 
während sich die anderen Völker damit begnügten, dies in rascher 
und oberflächlicher Regelung der politischen und socialen Verhält- 
nisse zu erlangen, wurde das deutsche Volk durch seine Anlage 
und durch seine äusseren Zustände dahin geleitet, mit Vernach- 
lässigung jener praktischen Aufgaben nach tieferer Erkenntniss der 
Dinge zu streben. Ein allerdings noch lalanloses und unbeholfenes 
Bedürfniss nach Belehrung ergriff daher alle Klassen des Volkes,
	        
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