Volltext: Geschichte der bildenden Künste im 15. Jahrhundert (Bd. 8)

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Sitten, 
Gebräuche, 
Literatur. 
wurden gepflegt und geübt. Zu der auf Gesang oder mündliche Blit- 
theilung berechneten eigentlichen Volkslyrilz, den zahllosen Liebes- 
liedern, den Erzählungen, Schwanken und Scherzen, den Liedern der 
verschiedenen Stände, der Jäger und Bergleute, Studenten und Sol- 
daten kommen dann die Volksbücher, theils aus (ler alten Sage ent- 
lehnt, wie Kaiser Octavian, Fortunat u. a. , theils der gegenwärtigen 
Stimmung angepasst und ferner die Romane und Novellen, bald in 
Prosa, bald in Versen zur Lectüre für die mittleren und höheren 
Stände. Auch gleichzeitige historische Ereignisse wurden häufig be- 
sungen, wie die Belagerung Kaiser Friedrichs III. durch die Wiener 
Bürger von Michael Beheim, die Fehde der Stadt Soest mit dem 
Erzbischof von Köln, der Sieg der Nürnberger über den sie bekrie- 
genden benachbarten Adel (1450) durch Hans Rosenplüt und vor 
Allem die Fehden der republikanischen Schweizer und Dithmarsen. 
Neben diesen volksthümlichen Stoffen fehlt es dann andrerseits nicht 
an bestellten oder lohnbeiiissenen Lobpreisungen einzelner Fürsten. 
In allen diesen Dichtungen ist freilich meistens der Druck und die 
Enge der deutschen Verhältnisse durchzufühlen; selbst die aus dem 
Volke hervorgegangene Balladenpoesie hat im Vergleich mit der eng- 
lischen meistens einen matten, spiessbürgerlichen Ausdruck. Auch 
das Drama ist stark vertreten, aber freilich ganz ohne innere Fort- 
schritte. Die geistlichen Aufführungen, Weihnachts-, Passions- und 
Osterspiele unterschieden sich von den früheren nur durch die ver- 
mehrte Einmischung komischer Episoden und Personen, und die Fast- 
nachtsspiele, die in einigen Städten, namentlich in Nürnberg, sehr 
beliebt waren und in grosser Zahl sich erhalten haben, sind im In- 
halt durchweg roh und trivial und geben fast nur Dialoge ohne alle 
Handlung, ausser etwa einer drastischen Prügelscene. Unzählbar, 
aber von ebenso geringem Werthe sind die didaktischen, satirischen 
und polemischen Gedichte. Die trockene, oft unbehülfliche Refiexion, 
das Negative herrscht bei ihnen vor, an einen freien, begeisterten 
Aufschwung ist nicht zu denken. 
Vergleichen wir hiernach die poetischen Leistungen der Deut- 
schen init denen der westlichen Völker, so ist es augenscheinlich, 
dass diese wenigstens in formeller Beziehung Vorzüge haben. Sie 
sind besser abgerundet, in gebildeterer, gleichmässiger Sprache vor- 
getragen, lassen nicht in dem Grade wie dort die innere Gährung, 
Unklarheit und Rohheit durchblicken. Einige Gattungen, die Lyrik 
der Spanier und die Balladen der Engländer zeigen schon eine ge- 
wisse Eleganz oder doch eine kräftig ausgesprochene Empündung; 
selbst die höfische Poesie der Franzosen hat durch die rafiinirte
	        
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