Tracht der Männer.
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Erfindung ausmachen, geben Zeugniss von einer vorherrschend rohen
Gesinnung.
Ungeachtet dieses leichten und derben Tons bildeten sich auch
in den bürgerlichen Kreisen steife, ängstlich beobachtete Umgangs-
formen, ähnlich der Etikette der westlichen Länder, ja noch spröder
und unbeholfener wie diese. Die Ursachen waren ähnliche; die durch
ihre Standesvorrechte Bevorzugten hatten auch hier Interesse, auf
ihre äussere Anerkennung mit pedantischer Strenge zu halten. Aber
die Etikette ging hier nicht von einem glänzenden Hofe und einem
feiner gebildeten Adel aus, dessen Ueberlegenheit den niederen Stän-
den fühlbar war und sie von dem Wetteifer zurückhielt, sondern sie
verbreitete sich gleichmässig über alle Classen des Volkes, so "gering
ihre Vorrechte auch sein mochten, so dass Jeder, bis zu dem zünf-
tigen Handwerksmeister herab, sich über die zunächst stehende Stufe
erhob und dies durch steife und unbehülfliche Formen geltend machte,
die dann mit der sonstigen bürgerlichen Derbheit und Gutmüthigkeit
grell contrastirten und mehr oder weniger lächerlich erschienen.
Auch in der Tracht ist neben einer ausgelassenen Prachtliebe
und einer derben Sinnlichkeit der Charakter des Steifen, Conventio-
nellen, Schwerfälligen vorherrschend. Auch hier werden die aus der
Zeit des mittelalterlichen Systems überlieferten Motive nicht blos bei-
behalten, sondern bis an die äusserste Grenze des Geschmacklosen
gesteigert. Von einer Hinneigung zu einfacheren, natürlicheren Formen
ist keine Spur. Man liebte vorzugsweise schwere und kostbare, schon
durch ihren Werth imponirende Stoffe von Seide, Sammt, Goldbrokat,
wie sie die erhöhte gewerbliche Thätigkeit lieferte, gefiel sich in der
verschwenderischen Verwendung derselben, machte also die Gewänder
länger oder weiter, und bewirkte dadurch, dass die Kleidung immer
steifer und schwerfälliger wurde. Das vierzehnte Jahrhundert hatte
die Tendenz gehabt, die Schönheit der natürlichen Körperbildung
zur Geltung zu bringen. Daher die anliegenden Unterkleider der
männlichen, die langen schlanken Mieder der weiblichen Tracht.
Daneben bediente man sich, wenn Alter, Stand oder Witterung es
erforderten, weiter Ueberkleider, welche zwar die Gestalt verhüllten,
aber doch, weil-sie einfach und anspruchslos waren, die freie Be-
wegung des Körpers gestatteten und erkennen liessen. Es lag also
in der ganzen Tracht ein jugendlich frischer Zug, welcher es ent-
schuldigte, wenn sich hin und wieder z. B. in den wunderlichen
Farbencontrasten der "getlieilten Kleidung", in den abenteuerlichen
Schnabelschuhen mit ihren hoch hinaufreichenden Spitzen und in
Anderem ein jugendlicher Uebermuth zeigte. Das fünfzehnte