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Gebräuvhe,
Sitten,
Literatur.
hinauf nicht gerade ein sehr feiner war. Kaiser Sigismund, als er
ein Mal mit Herzog Friedrich von Oestereich durch die unsauberen
Strassen von Innsbruck ging, erlaubte sich den Scherz, dessen langes
Prachtgewand durch den Koth zu ziehen, wofür sich dieser dann so-
fort rächte, indem er sich geschickt an dem rothen Sammtkleicle des
Kaisers abwischte. Kaiser Friedrich III. war gewohnt, die Thüren
mit dem Fusse aufzustossen, wobei er sich dann im Alter durch
eine Ungesehicklichkeit den Tod zuzog. Auch die allgemeinen Schil-
derungen lassen uns die Rohheit der Sitten nicht verkennen. Bei
den einsamen, zivischen ihren Knechten hausenden, in Raubzügen
oder unrühmlichen Fehden wegelagernden Rittern, denen alle poe-
tischen Elemente des früheren Ritterthums fehlten, musste der Sinn
für humane Sitten und feinere Freuden allmälig absterben. In den
Städten waren zivar Recht, Ordnung, Gewerbfleiss und Häuslichkeit
vorherrschend, und in den Häusern der edleren, init der Leitung der
öffentlichen Angelegenheiten betrauten Bürger bildeten sich auch
schon feinere Sitten, aber im Uebrigen war auch hier eine Verwil-
derung eingetreten. Bei dem Verfall der kirchlichen Zucht und dem
bösen Beispiel, das die Geistlichkeit und der Adel gaben, hatte der
durch zahlreiche neue gewerbliche Erfindungen gesteigerte Wohlstand
eine grobe, sinnliche Genusssticht erzeugt, der dann andere Uebel
folgten. Die Beschreibung, welche der Italiener Poggio von dem
Leben der Badegäste zu Baden in der Schweiz giebtl), wenn auch
wahrscheinlich etwas übertrieben, die anstössige Derbheit mit der die
NIOYHIISUBU schildern, was sie rügen wollen, eine Menge von einzelnen
Nachrichteng), selbst die polizeilichen Anordnungen, welche man für
nöthig hieltß), beweisen sehr lockere Sitten und eine aufgeregte Sinn-
lichkeit. Auch die literarischen Erzeugnisse, namentlich die Fast-
nachtsspiele, in denen Schimpfreden, Prügeleien, Schmutz und Zoten,
oder doch eine grobe Schadenfreude häufig die einzige Würze der
1) Poggius Flor. Opp. Argentor. 1513. fol. 113.
e) Aeneas Sylvius schildert das wilde Leben, die Trinkgelage und Raufereien
der Wiener Bürger und Studenten.
3) Ich will hier die bekannten Notizen über die Gastfreiheit, welche die Städte
bei fürstlichen Besuchen dem Gefolge auch im "Frauengässlein" gewährten, über
die Zahl der Curtisanen zur Zeit der Concilien von Costnitz und Basel u. dgl.
nicht wiederholen. S. eine Zusammenstellung derselben bei Wachsmuth, Sitten-
geschichte IV. 198. Allerdings können die bei Gelegenheit eines Zusammeniitisses
von Fremden getroffenen Anordnungen nicht geradezu als ein Beweis für die Sitt-
lichkeit der Bürger angeführt werden; sie bezweckten vielmehr einen Schutz der
Familien. Aber sie gestatten doch einen Schluss auf den Zustand der Sittlichkeit
im Allgemeinen.