Rohe Sitte und Faustrecht in Deutschland.
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Kampf tritt. So bei Wilhelm von Oesterreich und Hedwig von
Ungarn, welche der Auflösung ihrer früher beschlossenen Verbindung
mit Gewalt durch einen Fluchtversuch widerstreben. So ferner bei
Herzog Albrecht von Bayern und der Gräfin von Württemberg, welche
aus politischen Gründen verlobt, beide andrer Neigung folgen, wobei
jener zum grossen Zorne seines Vaters die vielbesungene Baders-
tochter Agnes Bernauer wirklich heirathete, die dann, wie bekannt,
später (1435) so tragisch endete. Eine andere den Standesbegriffen
widersprechende Ehe, die Friedrich des Siegreichen von der Pfalz
mit der Bürgerstochter von Augsburg, Clara Dettin, wurde dagegen
von Niemand angefochten, sondern ein anerkanntes Muster häuslichen
Glückes. Alle diese Ereignisse gingen dann aber nicht unbeachtet
vorüber, sondern wurden von der Nation mit Vorliebe aufgefasst,
sagenhaft ausgeschmückt und häufig nacherzählt. Man hat eine un-
verkennbare Freude daran, dass die Kraft des natürlichen Gefühls
die Scheidung der Stände zu überwinden vermag.
Blieb Deutschland so vor der Unnatur jenes restaurirten Ritter-
thums bewahrt, so entbehrte es freilich auch die vortheilhaften Wir-
kungen desselben. Während dort der Adel affectirte, aber feinere
Sitten angenommen hatte, war er hier immer tiefer in faustrechtliche
Rohheit versunken. Die Ausländer, wenn sie von den damaligen
Deutschen sprechen, glauben die stärksten Farben auftragen zu
müssen. Bei den Italienern, besonders bei den Humanisten, die in
Veranlassung der Concilien oder zu literarischen Nachforschungen
über die Alpen kamen, ist es völlig zur Mode geworden, auf unsere
Landsleute zu schimpfen; sie überbieten sich, sie als stets berauschte
oder schlaftrunkene, unwissende, räuberische Barbaren, als unreinlich,
ja sogar als durchweg übelriechend darzustellenl). Das sind nun
zwar grobe Uebertreibungen, eingegeben von nationalem und litera-
rischem Hochmuthe und von dem Missbehagen des Italieners in den
ungewohnten Zuständen des rauheren Landes. Aber auch der vor-
sichtige Commines schildert die deutsche Rohheit in starken Aus-
drücken und giebt dafür unter Anderem ein Beispiel, das gewiss
nicht erfunden ist, dass nämlich die Ritter des in Brüssel fürstlich
aufgenommenen rheinischen Pfalzgrafen ihre von der Reise beschmutz-
ten Stiefeln auf die ihnen angewiesenen Prachtbetten geworfen hätten.
Selbst die deutschen Quellen enthalten zahlreiche Anekdoten, welche
beweisen, dass der gesellschaftliche Ton bis in die höchsten Sphären
1) Eine Blumenlese
belebung des classischelm
solcher italienischer
Alterthums, 1859, p.
Schilderungen
390-392.
bei
Voigt,
Wieder-