Französische Persönlichkeiten, Jeanne
listen wollte. Vor Verbrechen, lügenhaften Versicherungen, Be-
stechungen, selbst vor vorher überlegten Eidbrüchen und vor raffi-
nirter, auf Erregung des Schreckens berechneter Grausamkeit scheute
er nicht zurück; er scheint sie für erlaubte oder doch unvermeidliche
politische Mittel gehalten zu haben. Aber er suchte sich durch eine
abergläubische Frömmigkeit zu schützen, Kirchen und Klöster be-
schenkte er reichlich, trug an seinem Hute bleierne Heiligenbilder,
damit er daraus einen Altar improvisiren und sich vor ihnen auf
die Kniee werfen konnte, und liess beim Herannahen des Todes Re-
liquien und fromme Einsiedler, die im Rufe der Heiligkeit standen,
aus weiter Ferne herbeischaifen. Trotz seines nüchternen Verstandes
konnte er aber einen guten Witz nicht unterdrücken und muthete
gelegentlich seinen Gegnern eine Ehrlichkeit und Gutmüthigkeit zu,
die dem Beispiele, das er ihnen gab, völlig zuwiderlief. Aber bei
alledem hatte sein Verfahren so viel Consequenz und so grosse Er-
folge, dass die bedeutendsten unter den gleichzeitigen Fürsten, Hein-
rich VII. von England und Ferdinand der Katholische, ihn augen-
scheinlich zum Vorbilde nahmen.
Es würde zu weit führen, wenn ich diese Uebersicht über histo-
rische Persönlichkeiten weiter ausdehnen wollte. Statt dessen wollen
wir einen Blick auf das wichtigste Geschichtswerk dieser Zeit werfen,
dem wir schon einige der mitgetheilten Charakterbilder verdanken,
und das uns in die Wirklichkeit dieser Zeit auf das Lebendigste ein-
führt. Es sind dies die berühmten Nlemoiren des Philipp von Com-
mines (1446-1509), eines iiandrischen Edelmannes, der, zuerst im
Dienste Karls des Kühnen, dann Ludwigs XI., an den wichtigsten
Ereignissen Theil genommen oder ihnen doch als scharfsichtiger Be-
obachter nahe gestanden hatte und die Geschichte seiner Zeit, wie
er ausdrücklich sagt, als ein Lehrbuch für Prinzen oder Staats-
männer niederschrieb. Wie sehr unterscheidet sich seine Auffassung
von der der mittelalterlichen Chronisten! Während diesen die Her-
gänge rein als Thatsachen erscheinen, welche sie berichten, ohne viel
darüber zu reiiectiren, kommt es ihm darauf an, sie aus den Motiven
der handelnden Personen zu erklären. Während jene das Böse nicht
schwarz, das Gute nicht leuchtend genug malen können, ist er überall
bemüht, neben den hervorragenden Eigenschaften der handelnden
Personen auch ihre Schwächen wahrzunehmen, die Dinge in ihrer
eigenthümlichen Mischung zu begreifen. Da von den Neigungen und
Ansichten, von den Fähigkeiten und Leidenschaften der Fürsten und
Feldherren sehr viel abhiinge, da diese dann aber wieder von dem
Rathe ihrer Umgebungen beeinflusst Würden, dringt er darauf, diese