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und Charakterbildung
Geistige Richtung
des
Jahrhunderts.
einen Reichthum, wie kaum irgend eine spätere Zeit. Allerdings
haben diese Gestalten noch ein gemeinsames Gepräge, das sie von
unseren Zeitgenossen und von denen der dazwischen liegenden Jahr-
hunderte unterscheidet, aber dieser Unterschied ist nicht stark genug,
um uns das Verständniss zu erschweren und diese Gemeinsamkeit
enthält einen Zug, der die höchste Mannigfaltigkeit möglich macht.
Es wird zweckmässig sein, durch einige Beispiele bekannterhistorischer
Figuren uns die Grösse dieser Mannigfaltigkeit zu vergegenwärtigen.
Welche Gegensätze finden wir schon unter den lilännern, die mit dem
hochklingenden kaiserlichen Titel an der Spitze des deutschen Reiches
standen. Gleich an der Schwelle des Jahrhunderts tritt uns Kaiser
Sigismund (1411-1437) entgegen. Von schöner, imponirender Ge-
stalt, nicht ohne ritterlichen Muth, klug, ziemlich unterrichtet, dabei
als König von Ungarn und nachher von Böhmen, sowie als Inhaber
bedeutender Reichslehen nicht ohne lllacht und Mittel, schien er in
jeder Beziehung wohl für seine hohe Stellung ausgerüstet. Aber sein
leichter, genusssüchtiger Sinn und die hohe Vorstellung von seiner
Würde bewirkten, dass er die Geschäfte nicht blos des Reiches, son-
dern auch seiner Länder gänzlich vernachlässigte und nur für Re-
präsentation, für Glanz und Feste sorgte. 'l'rotzdem, dass er seine
eigenen Besitzungen und die dem Reiche heimfallenden Lehen ver-
kaufte oder verpfändete und mit kaiserlichen Privilegien einen offenen
Handel trieb, war er beständig in Geldnoth, so dass er sogar sein
Silbergeschirr versetzen musste. Dies hinderte ihn aber nicht, sich
vorzugsweise in die Geschäfte zu mischen, bei denen er als Ober-
haupt der Christenheit auftreten zu dürfen glaubte. Auf den Gon-
cilien zu Constanz und Basel vollbrachte er dies nicht blos mit
grosser Pracht, sondern auch mit grossem Eifer. Der hier erlangte
scheinbare Erfolg reizte ihn aber, den Vermittler zwischen den da-
inals in blutigem Kriege streitenden Königen von Frankreich und
England zu spielen. Er ging daher ohne Heeresmacht, als ob es
seiner kaiserlichen Person nicht fehlen könne, nach Paris und Lon-
don, was ihm dann Feste und Ehrenbezeigungen, aber auch manche
Verlegenheit und Demüthigung einbrachte und jedenfalls erfolglos
blieb. Bei seinem spät unternommenen Röinerzuge blieb er, durch
Geldnoth und trotz seines vorgerückten Alters auch durch ein
Liebesabenteuei- aufgehalten, ein ganzes Jahr in Siena und wurde
recht eigentlich zum Gespötte der Italiener. Aber er war es, der
das Reich mit dem anspruchsvollen Wappen des Doppeladlers be-
schenkte, und am Ende seiner wirkungslosen Regierung setzte er sich
im kaiserlichen Ornate in seinem Sessel zurecht und verordnete,