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Charakterbildung des
Geistige Richtung und
15. Jahrhunderts.
in das Gebiet des Wunderbaren und Geistigen. Jetzt dagegen, in-
dem man sich mehr an die Prüfung der Erscheinungen und ihrer
Ursachen gewohnte und in solchen, dem Teufel zugeschriebenen Er-
eignissen auch die Wirksamkeit von Naturkräften wahr-nahm oder
vermuthete, entstand eine neue und viel umfassendere Vorstellung
von seiner Macht. Seine Angriffe erschienen nicht mehr als ver-
einzelte Acte seiner Willkür; es gab vielmehr ein grosses Natur-
gebiet schädlicher Kräfte, das ihm zu Gebote stand. Indem man
ferner bei der Verfolgung des Causalzusammenhanges auch mensch-
liche Handlungen zu erkennen glaubte, die darin eingriifen, sah man
in ihren Urhebern bewusste Gehülfen des teuflischen Planes oder In-
haber diabolischer Kräfte. Der Glaube an Zauberei, an geheime
Mittel, durch die man ohne physische Berührung Wirkungen auf
entfernte Personen ausüben könnte, erhielt eine Ausdehnung wie noch
nie. Der Wahn, dass man Jemand durch das Schmelzen seines in
Wachs geformten Bildes unter gewissen Zauberformeln tödten könne,
war so allgemein, dass man solche Beschuldigungen zum Gegcnstande
gerichtlicher Untersuchungen machte, und dass selbst Personen der
höchsten Stände in der Leidenschaft des Hasses zu solchen, ihnen
von Betrügern oder Leichtgläubigen empfohlenen Mitteln ihre Zuflucht
nahmen. Die Möglichkeit eines Bündnisses mit dem Teufel war so
unbezweifelt, dass es Leute gab, die darin zu stehen glaubten und
Erlebnisse, die dies ergeben sollten, sich einbildeten. -Das Hexen-
wesen wurde sogar von der Kirche durch Ueberweisung an die In-
quisitionsgerichte förmlich anerkannt (1484). Ebenso wie übernatür-
liche Mittel des Angriffs, gab es dann auch ähnliche des Schutzes;
selbst die Heilkunde brauchte Amulete und Talismane. Und noch
weniger zweifelte man an der Möglichkeit, die Zukunft durch ge-
heime Mittel zu erforschen. Astrologie, Chiromantie und andere
Wahrsagekünste blühten mehr wie je und namentlich mehr als im
eigentlichen Mittelalter. Einzelne tiefer blickende Männer liessen
wohl ihre Zweifel hören, aber die grosse Menge aller Stände hing
fast leidenschaftlich an diesen abergläubischen Meinungen, und selbst
die Wissenschaft war weit entfernt, ihnen zu widersprechen. Der
Glaube an das Wunderbare, die Gewohnheit, sich durch magische
Mittel eine vermeintliche Hülfe zu schaffen, mischte sich mit der
pedantischen Ueberschätzung halbverstandener physikalischer Lehren
und mit dem Gefühl der Unzulänglichkeit der bisherigen Kenntnisse.
Aber wenn die Wissenschaft zurückblieb, eilte ihr sowohl das
praktische Bedürfniss wie das religiöse Gefühl voraus. Schon längst
regte sich bei Einzelnen die Sehnsucht nach einem unmittelbaren,