Volltext: Geschichte der bildenden Künste im 15. Jahrhundert (Bd. 8)

Italielfs Vorsprung. 
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Der Uebergang von der mittelalterlichen Zersplitterung zur nationalen 
Einheit, der sich in den drei grossen westlichen Reichen im Laufe 
dieses Jahrhunderts vollzog, blieb in Deutschland wie in Italien aus. 
Die beiden Länder, welche den Vorzug gehabt hatten, die Spitzen 
des mittelalterlichen Systems zu tragen, die Spitze des Kaiserthums 
und des Papstthums, vermochten in politischer Beziehung nicht, sich 
die Vortheile der neuen Zeit anzueignen, die sich dann freilich in 
anderen Beziehungen bei ihnen um so kräftiger geltend machten. 
Auf dem Gebiete des Völkerlebens, in den grossen allgemeinen 
Verhältnissen treten also die Anfänge der neueren Zeit deutlich zu 
Tag-e; die nationale Einheit, die Sorge für Volkswirthschaft und 
bürgerliche Ordnung macht sich im Gegensatze gegen die bisherige 
feudale Zersplitterung mehr und mehr geltend. Im Einzelleben, 
auf dem Gebiete der Sitten und Gebräuche, des Denkens und Fühlens 
ist dies nicht so augenscheinlich; die Formen des Mittelalters er- 
halten sich nicht blos, sondern sind noch immer vorherrschend, und 
erst bei näherem Einblicke erkennt man zwischen ihnen einige Keime 
des Neuen. 
Indem wir uns anschicken, auf diese Einzelheiten einzugehen, 
müssen wir uns entschliessen, auch jetzt noch, wie imlrlittelalter, 
Italien von den übrigen abendländischen Völkern zu trennen und erst 
nach diesen gesondert zu betrachten. Dies jedoch jetzt nicht des- 
halb, weil es (wie im Mittelalter wirklich) das zurückbleibende, über- 
wiegend empfangende Volk war, sondern gerade umgekehrt, weil 
es zu rasch vorwärts ging. Der Trieb, welcher der modernen 
Geschichte zuführte, regte sich zwar diesseits und jenseits der 
Alpen zu gleicher Zeit, aber während man im Norden die Insti- 
tutionen des Mittelalters, die hier entstanden und mit allen Inter- 
essen enge verwachsen waren, mit Zähigkeit festhielt, wurde es den 
Italienern, bei denen jene Institutionen niemals recht einheimisch ge- 
worden waren, sehr leicht, sich wenigstens der denselben entsprechen- 
den Formen ohne .Weiteres zu entäussern. Sie treten daher gleich- 
sam mit einem Sprünge in die neue Zeit hinein, während jene nur 
allmalig sich von dem Mittelalter entfernen, und erst im sechszehnten 
Jahrhundert, znmrTheil unter italienischem Einflüsse, sich dem mo- 
dernen Geiste vollständig hingeben. Für jetzt aber, im fünfzehnten 
Jahrhundert, stehen sie dem Mittelalter näher und es scheint daher 
angemessen, ihre Zustände und dann auch ihre Kunst im unmittel- 
baren Anschlüsse an die Betrachtung des Mittelalters zu behandeln 
und erst später zur Schilderung der italienischen Entwickelung über- 
zugehen. Dies um so mehr, da in dieser Frühzeit die nordische 
Schnaase's Kunstgesch. Vlll. 2
	        
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