Innere Zustände Deutschland's.
Nahrung gab, endlich die Unternehmung kühner und vom Erfolge
begünstigter Kriege waren die wirksamen Mittel zu diesem Zwecke.
Auch hier war also, wie in England und Frankreich, ein Conipromiss
zwischen dem Alten und Neuen, zwischen dem ritterlichen Lehns-
adel und dem Königthnme zu Stande gekommen, aber wieder in
ganz eigenthümlicher Weise. Es war gelungen, die Gegensätze in's
Gleichgewicht zu bringen, ohne sie durch Verschmelzung abzuschwächen;
die mittelalterlichen Elemente ritterlicher Selbständigkeit und reli-
giösen Eifers in ihrer Energie zu bewahren und doch dem König-
thum genügende Kräfte zur Aufrechthaltung innerer Ruhe und zur
äusseren Machtentfaltung zu verleihen.
Am wenigsten vermochte Deutschland sich eine den ver-
änderten Verhältnissen entsprechende Verfassung zu geben. Es be-
hielt die Mangel des Mittelalters, während es die Vorzüge desselben
verlor. Seitdem die Kurfürsten und neben ihnen auch andere grössere
Landesherren die Untheilbarkeit ihrer Territorien und damit fast
völlige Selbständigkeit erlangt hatten, seitdem die Kaiser, um nicht
hinter jenen erblichen Fürsten zurückzustehen, grösserer Erblande
bedurften, deren Erwerb, Erhaltung und Ausdehnung sie vollauf be-
schäftigte, löste sich die Einheit des Reiches mehr und mehr. Zu-
weilen konnte es wohl den Anschein gewinnen, als ob die Kurfürsten
die Leitung in die Hand nehmen würden, allein dem standen dann
wieder die kaiserlichen Rechte, das Selbstgefühl der anderen, kleineren
Reichsstände und vor Allem ihre eigene Uneinigkeit entgegen. Alle
Beschlüsse kamen nur im Wege schwerfälliger Unterhandlnngen zu
Stande und die wichtigsten Angelegenheiten.scheiterten an Sonder-
interessen. Streitigkeiten der Fürsten konnten daher nur durch
Kriege entschieden werden, welche bei der Vielheit und Unklarheit
der Ansprüche niemals ganz aufhörten. Aber die Reichsgesetze hatten
auch mit deutscher Consequenz das Recht der Selbsthülfe im wei-
testen Maasse conservirt, und so kam es dahin, dass jeder kleine
Ritter, der ein Paar Knechte halten konnte, seine Nachbarn befehdete
und Selbst mäßhtigen Städten, wie der Kunstausdruck lautete, absagte,
oft nur, um von seinem Felsenneste aus ihre friedlichen Waarenzüge
zu überfallen 1). Die früheren Kaiser waren wohl ausgezogen, um die
Burgen solcher adligen Räuber zu brechen; die jetzigen hatten dazu
weder die Macht, noch den ernstlichen Willen, und dass die Landes-
herren dagegen wirksame Schritte thun konnten, wurde schon durch
1) Wie lächerlich, ja. unbegreiflich dieser Zustand Deutschlands den Bewohnern
besser regierter Länder schon damals vorkam, schildert Commines L. 5. ch. 8.