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Buch III.
Italien.
XV. Jahrhundert.
Umbrien.
dienstbar anreihen. Die Kunst folgte hier den Interessen des
Lebens ebenso, wie sie sich ähnlich in den Handelsstaaten
von Florenz und Venedig, in dem der Gelehrsamkeit des
Alterthums hingegebenen Padua verhalten hatte. Fleckenlose
Seelenreinheit, zum Höchsten aufsteigende Sehnsucht und
gänzliche Hingebung in süss schmerzliche und schwärmerisch
zärtliche Gefühle, diess sind die durchgehenden Züge in dem
Charakter der Schule, zu deren Betrachtung wir uns jetzt
wenden. Es ist also weniger dieses oder jenes bestimmte
formelle Princip, als vielmehr die Sinnesweise, Welche
den Charakter und die Grösse derselben ausmacht; wo diese
sich zuerst zeigt, da beginnt die Schule, welches und woher
auch die formelle Bildung des einzelnen Künstlers sein möge.
In der Folge mochte sich dann der Schultypus immerhin auch
auf die äussere Form ausdehnen und einen partiellen Idealis-
mus in derselben entwickeln, wie er nur unter diesen Prä-
missen, nur bei dieser fortgesetzten Beschäftigung mit einem
innern und überirdischen Leben dagewesen ist. Auch der
verhältnissmässig frühe Verfall der Schule hängt mit diesem
ihrem innersten Wesen zusammen; nachdem sie sich den un-
vergänglichen Ruhm erworben, RafaePs erste und in manchem
Betracht bleibende Richtung bestimmt zu haben, sank sie
rasch in tiefe Schwäche und Manier.
Die formelle Stylgrundlage scheint aus verschiedenartigen
Einwirkungen gemischt gewesen zu sein. Ausser dem all-
gemeinem Einfluss Giottds, dem keine Gegend Mittelitaliens
verschlossen blieb, ausser den oben erwähnten Meistern der
Mark Ancona und des urbinatischen Gebietes f), krßuztg sich
in diesen Gegenden die Thätigkeit z. B. des Flamänders
Justus von Gent (ein 1474 Vollendetes Altarblatt in S. Agata
zu Urbino) mit der des Paolo Uccello, des Benozzo Gozzoli
und des Piero della Francesca; nach 1484 malte auch Luca
'19) Weiteres über diese bei J. D. Passavant: "Rafael etc." I,
S. 435 u. f. Ein Werk, welches als Hauptquelle für die ganze um-
brische Schule anzusehen ist. Vgl. die Aufsätze von Gaye im
Kunstblatt 1837, N0. es u. f.