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Buch IV. Norden. XVI. Jahrhundert.
Oberdeutschland.
äaso.
gross erscheint als Johann van Eyck und Albrecht Dürer in
der ihrigen, und wie diese einen geistigen Höhepunkt seiner
Zeit bezeichnet.
Holbein war von vorn herein günstiger gestellt als
Dürer. Sein' Vater hatte für diejenige Richtung, deren
höchste Vollendung ihm vorbehalten war, den Weg bereits
geebnet, er fand einen sehr ausgebildeten Naturalismus von
freier Lebendigkeit und Anmuth, eine vielseitige Charak-
teristik, ein harmonisches Colorit schon als Erbe vor, während
Dürer seine besten Jahre daran setzen musste, die Wohlge-
muth'schen Manieren zu überwinden. Aber auch in andern
Beziehungen ist Holbein das vollständige Gegenbild, die Er-
gänzung zu Dürer. Die Grundlage seines Wesens ist die
Freude an dem individuellen Dasein, an der Aeusserung des
geistigen und körperlichen Lebens als solcher; von diesernt
Punkte aus gehen seine Streifzüge in die höchsten Aufgaben
der Kunst, in die dramatisch bewegte Gesehichtscomposition
hinein; auf jenen Punkt zog er sich in seiner spätern Zeit
fast in einseitiger Weise zurück, und die Bildnissmalerei
genügte ihm fortan als Ausdruck seines höchsten innern
Reichthums. Auch als Zeugniss der Zeit erscheint Holbein's
Streben bezeichnend genug; von den nordischen Malern ist
_Er zuerst vollkommen innerlich profan im edlern Sinne; selbst
an den kirchlichen Aufgaben begeistert ihn rein das psycho-
logische und malerische Interesse; der Glaubensstreit scheint
ihn in seiner so zu sagen kosmopolitischen Sicherheit gar
nicht berührt zu haben. Seine Gestalten haben, wie die-
jenigen Shakspeards ihre innere von aller Convention unab-
hängige Nothwendigkeit. Eine unmittelbare Richtung auf
ideale Schönheit und Grösse ist darin nicht zu erkennen;
wo diese Eigenschaften aber geboten waren, treten sie auf
N0. 102 und 1846, N0. 27. Neuestes: A. Woltmann: Holbein und
seine Zeit, Leipzig bei Seemann 1866, ein Werk voll sehr eingehender
und umfassender Untersuchungen, von vielen urkundlichen Mit-
theilungen begleitet. Holbein-Album (Photographien) mit Text v.
A. .Woltmann Berlin, G. Schauer.