Dürefs
vier
Apostel.
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Beginn jenes Hüteramtes der Schrift, das eigentliche Studium
derselben. Johannes, der vorn steht, hält das geöffnete Buch
in seinen Händen; seine hohe Stirn, sein ganzes Gesicht
trägt das Gepräge tiefer, strengforschender Gedanken; es ist
dasimelancholische Gemüth, welches in die Tiefen der For-
schung hinabsteigt. Petrus, hinter ihm, biickt sich über das
Buch und schaut ernst auf dessen Inhalt, ein greiser Kopf,
voll beschaulicher Ruhe, das phlegmatische Gemüth, wel-
ches den Gedanken in stiller Ueberlegung zu verarbeiten hat.
Auf dem zweiten Bilde stellt sich uns die Richtung nach
aussen, das Verllältniss der gewonnenen Ueberzeugung zum
Leben, dar Marcus, im Hintergrunde, ist der Sanguiniker;
offen blickt er umher, er scheint lebhaft und eindringlich zu
sprechen und den Zuhörer zu gleichem Gewinn, wie ihm aus
den Worten der Schrift zu Theil geworden, aufzufordern.
Paulus dagegen, im Vorgrunde desßildes, hält Buch und
Schwert in den Händen; er blickt zürnend und streng über
die Schulter hinaus; er ist bereit, das Wort zu vertheidigen
und die Schänder desselben mit dem Schwerte der Kraft
Gottes zu vernichten. Er ist der Repräsentant des choleri-
scheu Temperamentes. Und nun, welche meisterhafte
Vollendung der Ausführung, wie sie nur einem Gegenstande
von so erllabenem Inhalte angemessen sein konnte! WVelche
Würde und Hoheit in diesen, so verschiedenartig charakteri-
stischen Köpfen! Welche Einfalt und Majestät in diesen
Linien der Gewandung; Welche erhabene, statuarische Ruhe
in diesen Bewegungen! Hier ist nichts Störendes mehr, kein
kleinlieher eckiger Bruch der Falten, kein willkürlich Pllan,
tastischer Zug in den Gesichtern oder auch nur im Fall der
Haare. Ebenso ist auch die Farbe höchst vollendet und
von kräftigster Naturwahrheit und Wärme. Von jenem
bunten Lasiren, jenem scharfen Bezeichnen der Formen ist
fast keine SPD? mehr, sondern überall ein freier, gediegener,
pastoser Auftrag. Wahrlich, der Meister durfte nach der
Vollendung dieses Werkes sein Auge schliessen, denn er
hatte das Ziel der Kunst erreicht; hier steht er den grössten
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