482
Buch
IV. Norden. XVI.
Jahrhundert.
Dürer.
238.
Steine
reicht.
sitzt und dem einer der Kriegskneohte das Rohr über-
Die Gestalt Christi ist voll höchsten Adels und von
schöner Fülle; der Krieger, im Costüm des Mittelalters,
höhnend und eifernd, ebenfalls in trefflicher Entfaltung
schöner Formen. Christus ringt die Hände und Wendet das
majestätische Haupt voll göttlichen Erbarmens zum Beschauer;
denn als Titelbild hat hier die Darstellung symbolische Be-
ziehung: es ist nicht jener geschichtliche Moment der Ver-
höhnung, sondern die fortdauernde Schmach, die dem Er-
löser von dem Sünder widerfährt, daher auch bereits die
Wundenmale auf Händen und Füssen angedeutet sind.
Die Krcuztragungß Ein figurenreiches, dichtgedrängtes Bild,
und doch die vollkommenste Uebersichtlichkeit des Inhalts,
die klarste Entwickelung der Handlung: In der Mitte der
Erlöser, unter der Last des Kreuzes ins Knie gestürzt; zur
Rechten der Scherge (in prahlerischer Entwickelung eines
kraftvollen Körperbaues), der ihn am Strick emporreisst; zur
Linken Veronika, kniend, das Schweisstuch in den Händen,
zu der sich Christus mit liebevollem Blick umwendet. Hinter
ihm ein anderer Scherge, der ihn mit wilder Hast zwischen
Steine und Disteln niederstösst, und Simon von Cyrene, ein
freundlicher Greis, der Christo die Last des Kreuzes zu
entnehmen im Begriff ist. Weiter zurück auf der einen
Seite der Hauptmann und Soldaten, auf der andern Maria
und die Freunde Jesu, hinter denen, im Stadtthore, die
Schächer geführt werden. Die Composition hat eine nicht
ganz zu verkennende Aehnlichkeit mit Rafaels Kreuztragung
(Spasimo di Sicilia), und wenn man in diesem Werke aller-
dings den gereiftereh Meister erkennt, so fallen doch auch
einzelne Punläeüiesrfvergleiches zu Gunsten des älteren
deutschen Werkes aus. Die Gestalt Christi namentlich stellt
sich in letzterem ungleich bedeutsamer, würdevoller und als
der eigentliche Mittelpunkt der Handlung dar. Christi
bI-Iöllenfahrt zeigt zwar wiederum die abenteuerlichste Phan-
itasie in den Figuren der Teufel; zugleich jedoch in der Ge-
stalt des Erlösers die schönste Majestät und auch _in den
nackten Gestalten der Erlösten eine treffliche Zeichnung.