47 0
Buch IV.
Norden.
XVI. Jahrhundert.
Dürer.
5- 231
Licht, welches dem Auge zwaneinen magischen Reiz ge-
währt, aber von der eigentlichen Schönheit menschlicher
Bildung abführt. Es ist ein ähnlicher Reiz, Iwie er sich in
andrer Weise später in den phantastischen Spielen des Hell-
dunkels, (z. B. bei Rembrandt) wiederholt, und der bei Dürer,
in fast gänzlicher Abwesenheit des Helldunkels, nur um so
stärker "wirkt. Ja sogar im Ausdruck und in der Bildung
des Gesichtes folgt Dürer häufig einer gewissen Manier,
welche nicht als die Norm einer idealen Schönheit, nicht
immer als getreues Ansehliessen an die Formen des gewöhn-
lichen Lebens (nach Art seiner Vorgänger), sondern wiederum
mehr nur als Hang zum sonderbaren zu erklären ist. Wenn
aber bei alledem die Mehrzahl seiner Werke einen würdigen
Eindruck auf den Sinn und Geist. des Beschauers ausübt, so
ist dies eben ein Zeugniss von der eigenthümlichen Grösse
seiner künstlerischen Anlagen ü).
Die Betrachtung der einzelnen Werke des Meisters, zu
der wir jetzt übergehen, wird das Gesagte in ein näheres
Licht setzen; die chronologische Anordnung derselben wird
einzelne interessante Andeutungen über seinen Entwickelungs-
"gang an die Hand geben. Ich werde hiebei vorzüglich seine
Gemälde (soviel mir deren wenigstens aus eigner Anschauung
bekannt sind) in's Auge fassen, indem nur aus diesen die Art
der Breite und Nachhaltigkeit seines künstlerischen Ver-
mögens erkannt werden kann; aus der grossen Menge seiner
Holzschnitte und Knpferstiche ist jedoch ebenfalls das Wich-
'39) Schorn (zur GGSClI, der Bildschnitzerei, Kunstbl. 1836, N0. 4)
sagt sehr schön von Dürer: „die charaktervolle Nachbildung gemeiner
Wirklichkeit erhob er durch Adel der Gesinnung, und diese innere sitt-
liche Haltung bei oft unschönen äusseren Formen trat bei ihm an die
Stelle jener bewusstlos gläubigen Frömmigkeit, die unter den Kämpfen
der Reformation nicht bestehen konnte. So behandelte er die religiö-
sen Gegenstände mehr aus dem menschlichen Standpunkte mit wunder-
barer Klarheit der Einsicht und des Gefühls, konnte sieh aber nicht
lesreissen von Magerkeit der Zeichnung und eckiger Manier des Ge-
wandwurfes."