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Buch
Norden.
XVI,
Jahrhundert
Gefühl, eine einseitige Berechtigung, er entfesselte den Geist
des Menschen und regte den Einzelnen zu selbständiger
Forschung, zur Begründung und Verallgemeinerung seiner
subjectiven Ansichten auf Das musste denn im Einzelnen
mannigfaeh seltsame Erfolge bewirken, wie dergleichen in
der That weder in den politischen Verhältnissen, noch in
andren Beziehungen des Lebens ausblieben und wie sie
ebenso in der Kunst sich zeigten. Wenn der Gedanke in
der Production des Kunstwerkes einseitig verwaltet, so wird
die Form leicht zur Hieroglyphe, zum Symbol; so ist schon
ein mehr untergeordneter Grad der Vollendung der Form
zur Bezeichnung des Gedankens hinreichend; so ist der Phan-
tasie, welche die Vermittlerin zwischen dem Gedanken und
der Form ausmacht, ebenfalls wiederum ein freierer Spiel-
raum, eine "grössere Willkür gestattet. Und ganz natürlich
ist es, dass unter solchen Umständen die Phantasie aufs Neue
jenen alten Weg, den sie überdiess nie ganz aufgegeben, ein-
schlug, dass die alten märchenhaften Träume wieder aufwach-
ten und den erhabenen Schritt der Schönheit gleich necken-
den Dämonen umwoben und aufhielten. Wie tief Ergreifendes
und Bedeutungsvolles auch von einzelnen grossen Geistern
dieser Zeit geschaffen wurde, die höchste Befriedigung und
Verklärung haben sie fast nirgend erreicht, dasSonnenlicht
vollendeter Schönheit vermochte den Frost dieser Nebelgebilde
fast nirgend aufzulösen
99') Die Weise, wie hier im Text das- Phantastische mit dem Pro-
testantismus in Verbindung gesetzt ist, dürfte doch manchem Bedenken
unterliegen. Die folgende Anmerkung scheint das Richtige näher zu
treifen. v. Bl.
, H) Ausser den angegebenen Verhältnissen dürften jedoch auch noch
manche Nebenumstände, welche auf die künstlerische Entwickelung
der Zeit eingewirkt, zu berücksichtigen sein. Namentlich jene öffent-
lichen theatralischen Darstellungen biblischer u. a. Begebenheiten in
Iden sogenannten Mysterien, Moralitäten, Processionen, sowie diejenigen
mehr possenhaften und satyrischen Inhalts in den Fastnachtspielexi.
Vgl. Schildener,_ "bei Gelegenheit eines alten Kirchenbildes", im
Museum, 1836, N0. 44, S. 351.