Neue
Gegenstände
und Darstellungsweisen.
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wunderlichen Spiele der bildenden Kunst, die wir so häufig
in den Ornamenten unsrer mittelalterlichen Bauwerke, in den
Randverzierungen unsrer alten Pergamenthandschrilten vor-
finden. Aber wo die Phantasie ins Maass- und Grenzenlose
hinausschweift, wo sie nicht dem gesetzlichen Organismus
nachfolgt, welcher den Typus der Naturformen nachbildet,
wo sie in eigner Willkür zu herrschen strebt, da ist das
Reich der Schönheit gefährdet. Die Träume. der Phantasie
können sich zum tiefsinnigen Spiele gestalten, sie können
sich in einer gemüthlich anziehenden Sphäre bewegen; aber
die Phantasie wird erst dann, Wenn sie sich dem allein wahr-
Vhaften Gesetze der Schönheit unterworfen, wenn die rohe
Gewalt dämonischer Mächte gebrochen ist, zum Zeugniss
eines edlen, gereinigten, zum Höchsten gerichteten Sinnes.
Dieser Hang zum Phantastischen verleugnet sich schon in
den früheren Entwickelungsperioden der nordischen Kunst
nicht ganz, wenngleich er freilich zumeist nur in mehr unter-
geordneten Beziehungen sichtbar wird und in einzelnen sel-
tenen Fällen auch mit den höheren Ansprüchen der Schön-
heit vereint bleibt. Er äussert sich z. B. bereits in jener
übertriebenen Charakteristik, die in einzelnen Werken der
altkölnischen Schule (Bd. I, S. 280) hervortritt; in der Hölle
des berühmten Danziger Bildes (Bd. II, S. 399), in jener
Darstellung der apokalyptischen Vision Memlings (Bd. II,
S. 393), in den tollen Productionen des Hieronymus Bosch
(Btl. II, S. 408); vornehmlich jedoch bei den Deutschen der
späteren Zeit des XV. Jahrhunderts, bei den Kölnern, bei
Martin Schön, dem älteren Holbein, den westphälischen
Künstlern u. s. w. Warum aber trat bei diesen, warum
gerade in den letzten Momenten der Entwickelung deutscher
Kunst jenes hemmende Element aufs Neue und mit über-
wiegender Kraft hervor? Ich glaube, der Grund liegt in
den allgemeinen geschichtlichen Verhältnissen. Es ist" der
Geist des Protestantismus, der sich darin ankündigt, der das
Licht der Wissenschaft anzündete, auf die Kunst jedoch
scheinbar verderblich einwirken musste._ Denn er gab zu-
nächst dem Gedanken, im Gegensatz gegen das irregeleitete
Kugler Malerei u. 30