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Buch IV. Norden.
Jahrhundert.
Deutschland.
233.
Charakteristik geltend, die mit der feinen Individualisirung
des ältern Holbein, mit der Anmuth der Ulmer Schule, mit
dem edlen Gefühl Schongauers deutlich contrastirt und einen
positiven Mangel an Schönheitssinn verräth. Die Gestalten
der Widersacher Christi z. B. machen hier insgemein die
wichtigsten Werke ungeniessbar und nach Umständen ab"-
scheulich.
Der vorzüglichste Künstler dieser Schule f) ist Michael
Wohlgemuth (geb. 1434, st. 1519). Aus seiner Werkstatt
in Nürnberg gingen zahllose Werke hervor, wovon oft der
grösste Theil rohe Gesellenarbeit ist. Dies war eine so no-
torische Thatsache, dass der Rath von Schwabachtim Jahre
1507 für nöthig fand, in den Contract über einen Hochaltar
folgende, für das rein handwerkliche Verhältniss wahrhaft
bezeichnende Klausel aufzunehmen; „wo die Tafel an einem
oder mer Orten ungestalt wurd", müsse Vtrohlgemtith sie
ändern, bis sie von einer beiderseitigen Commission als
vwohlgestalt" anerkannt würde; „wo aber die Tafel der-
massen so grossen Üngestalt gewinn, der nit zu endern vvere,
Soi soll er soliche Tafeln selbs behalten und das gegeben
Gelt on Abgang und Schaden widergebenff- Aber abge-
sehen von den oft wahrhaft wüsten, verwilderten Malereien
der Gehülfen, ist auch das Eigenhändige von verschieden--
stem WVerthe; der Meister bewegt sich in den Extremen eines
ihm eigenen Ideales und einer carrikirten Hässlichkeit, welche
hier zum ersten Male in der Kunstgeschichte mit aller Ab-
sicht als künstlerisches Motiv behandelt zu sein scheint. Die
Handrische Schule, welche in ihrem Individualismus meist ein
bestimmtes Maass zu halten wusste, kannte er wahrscheinlich
nicht. Auch sein Ideal, mit den dicken Backenknochen,
schmalen Schultern und verdrehten Hüften lässt trotz der
feinen Nasen und milden Augen, trotz des angenehm rund-
lichen Kopfes und des kleinen Mundes viel zu wünschen
übrig, obwohl es sich hie und da. bis zum Zarten und
ü) Vergl. R. v. Rettberg, Nürnberger Briefe,
Waagen, Deutschland, a. m. O.
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und