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Colmar:
Martin
Sehongauer.
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theilung ihn bereits nicht mehr am Leben fand's). Dass er
die niederländische Kunst gekannt, geht aus all seinen Wer-
ken hervor, auch wird er ausdrücklich als Schüler Rogiers
von Brügge bezeichnet; ausser seiner Grösse als Maler nimmt
er auch unter den Kupferstechern eine vorzügliche Stelle ein,
Seine Stiche wie seine Gemälde waren nicht bloss in Deutsch-
land, sondern auch in Italien und anderwärts sehr geschätzt
und es ist glaublich, dass er eine beträchtliche Schule zu be-
schäftigen -im Stande war.
Martin Schongauer erhebt sich kaum über die Befangen-
heit der Körperbildung, Welche seinen übrigen deutschen Zeit-
genossen eigen ist, aber er überragt sie durch ein unmittel-
bares Streben nach voller, gcreifter Schönheit in den Gesichts-
zügen, und durch ein höheres künstlerisches Bewusstsein in
der Anordnung, welches sich hie und da mit einer höchst
bedeutsamen dramatischen Bewegung verbindet. In einen
Wettstreit mit den Flandrern, wie ihn die kölnische Schule
eingegangen, liess er sich weniger ein als Herlen; er ahmt
z. B. keine Kleiderstoffe mehr nach, seine Farbe hat etwas
Allgemeines und folgt mehr einem vielleicht unbewussten
Stylgesetz als der natürlichen Erscheinung, obwohl die Car-
nation meist v'0n grosser Weichheit ist; seine Gewandung ist
zwar scharf und eckig gebrochen, aber einfach imposant. Der
tiefe Ernst, der seinem ganzen Wesen zu Grunde gelegen
haben muss, liess ihn vielleicht gleichgültig gegen jene
Aeusserlichkeiten der Darstellung, in welchen so manche sei-
ner Zeitgenossen aufgingen; dagegen ist er reich an Würde
und Schönheit, an jener Milde und Frömmigkeit, welche auf
dem Boden eines mit sich und der Welt versöhnten Gemüthes
beruht und von befangener Devotion wie von phantastischer
Schwärmerei entfernt ist; überall begegnet man, wenn auch
ü) Sein Bmder Caspar wurde schon 1445 in das Colmarel- Bürger-
"recht aufgenommen. Wir verdanken diese u. a. Notizen der Güte des
Hrn. Arehivars Hugot in Colmar. Ueber flie Ulmer Familie der
Schön vgl. Ulms Kunstleben etc. S. 34; über die Verwandten Maliills
in Colmar, welche grossentheils ebenfalls Künstler waren, vgl. Passa-
W'_8.l1t, im Kunstbl. 1846, N0. 41'und 42. (Anm. der Il. Aufl.)