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Buch III.
Italien.
XV. Jahrhundert.
Florenz.
137.
von Vasari erzählte Geschichte lässt immerhin erkennen, dass
das Auftreten der Oelmalerei in Italien genugsam Epoche
machte, um eine sagenhafte Erzählung zu veranlassen, welche
offenbar schon durch manchen Mund gegangen war, ehe sie
zu Vasari gelangte. Unwahrscheinlich war es von vorn
herein, dass die neue Erfindung so geheimnissvolle Wege ge-
gangen sei; schon die van Eyck's selbst hielten gegen Schü-
ler und Mitstrebende nicht damit zurück, und wenn Andrea
heute einen Mitwisser todtschlug, so konnte morgen ein an-
derer aufstehen. Zwei neuerlich festgestellte Thatsachen las-
sen indess genugsam Andrea's Unschuld erkennen: Domenico
hatte seine Fresken zu S. Maria Nuova sechs Jahre früher
(1445) vollendet, ehe Andrea (1451) die seinigen anüng, und
4. überlebte diesen um beinahe vier Jahr Ueberdiess ist
noch nicht ausgemacht, ob das eine bekannte Bild des Do-
menico (in S. Lucia zu Florenz, jenseit des Arno) mit Oel-,
oder mit Temperafarbenam) gemalt sei; die erwähnten Bilder
des Andrea sind offenbar Temperabilder. Jenes Bild des
Domenico ist übrigens etwas abweichend von des letzteren
Weise und hat etwas Mildes und Edles im Ausdruck, zeigt
jedoch ebenfalls bereits ein gutes Gefühl für die Form. Jeden-
falls liegt es in der Natur der Sache, dass die Tempera-
Malerei, die für ein schnelles Bemalen grosser Flächen manche
Vortheile darbot, erst allmählig, am Ende-des Jahrhunderts,
der Oelma-lerei wich.
5- Am Entschiedensten wurde jenes Studium des Nackten
durch den Einfluss gefördert, welchen die Bildhauerkunst auf
die Malerei ausübte. Diese Kunst (vornehmlich die Arbeit
in Bronze) war zu jener Zeit in Florenz mit glücklichstem
Erfolge, bedeutender noch als die Malerei, ausgeübt worden
und es konnte nicht fehlen, dass ihre Erfahrungen in Bezug
auf eine genauere anatomische Erg-ründung des menschlichen
Organismus alsobald auch auf die Malerei übergetragen wur.
a) Vergl. Crowe u. Cavalcaselle II, 308.
f") Letzteres wird von Rumohr (Ital. Forsch. II, 262),
von E. Förster (Kunstblatt 1830, S. 67) angenommen.
Ersteres