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Buch IV.
Norden.
XV. Jahrhundert.
Flandrer.
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verschiedenen Alters, folgt ihm; zwischen schlanken Bäumen
sieht man in ein fruchtbares Thal hinaus. Das weite, rothe
Gewand des Christoph erinnert in der Führung der Falten,
wie jene oberen Mittelbilder, noch bestimmt an den älteren
Styl, doch ist es nicht glücklich behandelt; auffallend ist
auch der seltsam bizarre, wunderliche Ausdruck in den
meisten Gesichtern der Uebrigen. Wohl möglich daher, dass
die Ausführung dieses Bildes von einem andern Schüler
Huberts herrührt, der, minder selbständig, sich mehr an die
Technik des Meisters halten mochte und des letzteren Stre-
ben nach Charakteristik bis zur Caricatur übertrieb. Un-
gleich anziehender ist das folgende Bild, Welches die Schaar
der heiligen Einsiedler, aus einer Feldschlucht hervortretend,
darstellt. Voran schreiten die beiden, welche das erste Bei-
spiel einsiedlerischer Zurückgezogenheit gaben, Paulus der
Eremit und Antonius; den Zug beschliessen die beiden
heiligen Frauen, die ebenso die grösste Zeit ihres Lebens in
der Wüste zugebracht, Maria Magdalena und Maria von
Aegypten. Höchst charaktervoll und von mannigfach ver-
schiedenem Ausdrucke sind hier die einzelnen Köpfe; ein
jeder trägt die Geschichte seines Lebens in seinen Zügen.
Würdige Greise stehen vor dem Beschauer, der eine kräftiger,
andre gernüthlicher, befangener, hinfälliger; begeisterte Fana-
tiker erheben wild ihr Haupt, während andre schlicht, mit
leis humoristischem Blicke nebenherschreiten lmd wieder an-
dre noch ringen im Kampfe mit ihrer irdischen Natur. Es
ist ein merkwürdiges Bild, das uns tief in die Geheimnisse
des menschlichen Herzens hineinführti; ein Bild, das jederzeit
den ersten Werken der Kunst wird zugezählt werden müssen
und zu dessen Verständniss es nicht erst einer Untersuchung
über die besonderen Zeit- und Ortsverhältnisse des Künstlers,
der es geschaffen, bedarf. Höchst anmuthig ist der land-
schaftliche Hintergrund, die Felswand der Schlucht und
drüber der grüne bewaldete Berghang und die fruchtbela
denen Bäume; das Auge müsste sich hier in das reiche Ein-
zelleben der Natur verlieren, wenn es nicht immer wieder
auf den bedeutsamen Vorgrund zurückgeführt würde._