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Ursachen
des
Verfalls.
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welche schon in den Schulen der grossen Meister hervortre-
ten, und wenn wir eine Anzahl von Künstlern erst hier
anschliessen, welche ganz speciell Manieristen zu heissen pfle-
'gen, so soll dpmit nicht gesagt sein, dass ihre Werke schlim-
mer wären als Manches von Giulio Romano und den nächsten
Schülern des Michelangelo.
Der Verfall ging zunächst von dem ungeheuern Erfolge
der rafaelischen Epoche selbst aus. Man fühlte, dass man bei
einem Höhenpunkte angekommen war; was man festzuhalten,
möglicher Weise zu überbieten suchte, war nun die Wirkung
der grossen Kunstwerke, das, wodurch sie ihren Urhebern den
Weltruhm schienen zu Wege gebracht zu haben. Man ver-
gass, dass die Grundlage aller künstlerisehen Grösse auf dem
geheimnissvollen Einklang zwischen der Persönlichkeit des
Künstlers und seinem Gegenstande, auf dem eigenen innern
Erworbenhaben alles Einzelnen beruht, und ahmte nun das
Aeusserliche, den Effekt. und die Manier der Darstellung nach,
erst schüchterner, dann immer kecker bis in die grösste Ver-
wilderung hinein. Was dagegen aufgegeben wurde, war das
schlechthin nicht Nachzuahmende, die tiefen poetischen Inten-
tionen, die edle harmonische Conception, die von höhern Ge-
setzen bedingte Anordnung. Manche der betreffenden Künst-
ler hätten fünfzig Jahre früher das Bedeutendste geleistet;
jetzt gingen sie in widerwärtigerl Manieren unter, weil jenes
Fluidum des Maasses und der Schönheit sie nicht mehr trug,
welches zu Anfang des XVI. Jahrhunderts selbst mittel-
massige Talente zu grossen Schöpfungen emporgezegen
hatte. Da, wo noch un1nit.telbarste Naturwahrheit geboten
war, wie- z. B. im Bildniss, tritt oft eine" grosse Tüchtigkeit
hervor.
Die zweite Hälfte der Schuld trägt. die veränderte Sinnes-
weise der Besteller und die daraus hervorgehende äussere
Stellung der Künstler. Fürsten und Corporationen, geistliche
und weltliche Grosse waren durch die gewaltigen monumen-
talen Leistungen der rafaelisehen Zeit lüstern geworden nach
dem massenhaften Besitz von Kunstwerken höherer Gattung,
und bald gehörte dergleichen schon zum standesgemässen