Neuntes
Capitel.
Verfall
der
Kunst.
Die
Manieristen.
214. Die höchste Glanzepoche der italienischen Kunst,
welche mit der Lebenszeit Rafaels zusammenfällt, beruht auf
einem Zusammenwirken zahlloser, höchst verschiedener Antriebe
von innerer und äusserer Art. 'Das Auseinandergehen der-
selben, die schnelle Zersetzung jener hohen Kunstblüthe all-
seitig darzustellen, wäre eine umfassende geschichtliche Auf-
gabe, statt welcher wir uns mit den nothwendigsten Andeu-
tungen begnügen müssen.
Eine unmittelbare Einwirkung der grossen welthistorischen
Ereignisse, der Reformation, der Uebermacht Spaniens, u. s. f.,
lässt sich hier für die mittlere Zeit des XVI. Jahrhunderts
nur in beschränktem Sinne annehmen (wie wir oben bei
Venedig andeuteten); erst die Nachblüthe der Kunst, um den
Anfang des XVII. Jahrhunderts, ist Wesentlich von diesen und
ähnlichen Einflüssen bedingt. Das Medium der Bildung, in
welchem? man um IÖÖO lebte, mochte von demjenigen der
Epoche Rafaels schon mannichfach abweichen, allein die Auf-
gaben der Kunst und das Bedürfniss nach ihren Schöpfungen
waren noch durchaus gleichartig gebliebenö), letzteres sogar
quantitativ gewachsen. Wenden wir uns vielmehr zunächst
zu der innern Nothwendigkeit alles Lebendigen, zu dem Wer-
den, Blühen und Vergehen, welches keiner Kunstepoche
erspart worden ist. Hier zeigt sich der innere Verfall schon
etwa seit 1530 in gewaltigstem Zunehmen, so dass die meisten
Schüler der grossen Maler, schon manche spätere Werke
dieser letztern selbst, unter diese Rubrik fallen. Das Fol-
gende ist eine Zusammenfassung der gemeinsamen Züge,
ü) Der treifliche Abschnitt bei Waagen, England 11„ S, 10, u_ f_,
welcher die veränderte Stellung der Malerei zu den geistigen Interessen
erörtert, bezieht sieh doch mehr auf die Lande diesseits der Alpen, wo
allerdings die Kunst, als Trägerin der Bildung, im Grossen und
Ganzen der geistigen Mittheilung durch die Schrift weichen musste,