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Buch HI.
Italien.
XVI. Jahrhundert.
Venedig.
faltung grossartiger Architekturen, die grösste Pracht der
Gefässe, die glänzendsten und reichsten Costüme, vor Allem
aber kräftige und edle Menschen in einem erhöhten Mo-
mente des Daseins, in vollstem Genusse dessen, was die
Erde schön macht; an die Stelle des religiösen Interesse's
tritt das Bild heiterer und weltlicher Pracht und frohen
Humors. Allein auch andere, mehr dramatisch bewegte
Scenen sind bisweilen mit hinreissender Lebendigkeit und
einem zwar nicht eben vielartigen, aber wahren Afiiect vor-
getragen; ausser dem Zauber des Colorites ist für Paolo
bezeichnend, dass hier ein in reicher Breite geschilderter Zu-
stand, eine Situation, insgemein die Basis ausmacht, von
welcher sich die lebendige That in kraftvollen Gestalten ab-
hebt. Was Paolo von Tintoretto unterscheidet und ihm für
seine letzte Zeit (nach Tizian's und Michelangelds Tode)
geradezu den Rang des ersten Malers der Welt anweist, ist
die schöne Vitalität, der poetische Drang, mitten in einer
gesunkenen Kunstepoche Leben und Liebreiz so rein und
so voll darzustellen, als die Zeit es gestattete. Auch er hat
sich dem Naturalismus vielfach anbequemt; seine Composition
verwildert hie und da; seine Schönheit richtet sich mehr an
die Sinne als an die Seele, aber selbst seine flüchtigsten
Dutzendbilder besitzen noch einen Hauch der Anmuth und
jene naive Fülle des Daseins, welche damals aus allen andern
Schulen gewichen war. Das Colorit wird in den spätesten
Werken allerdings fahlgrau und durch ein unglückliches
Feuerroth selbst unharmonisch.
Von frühem Gemälden Paolo's ist nicht Vieles bekannt.
2_ Ein treliliiches Bild des Berliner Museums, von unbekannter
Hand, ist in einem Styl gemalt, wie man sich etwa den der
Jugendbilder Paol0's vorstellen darf. Es ist eine Madonna
mit dem Kind, auf dem TlIYOHC, Vor ihr, und zu ihr hineilend
verschiedene Heilige und Engel; links, an einen Baum ge-
fesselt, S. Sebastian. Letzterer, nebst dem Christuskinde
und dem einen Engel, sind die schönsten Figuren des Bildes,
in welchem manches Einzelne, sowie die trefflich harmonische
Farbenstimmung deutlich auf Paolo hinweist, während An-