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Buch III.
Italien.
XVI.
Jahrhundert.
Tizian.
tet wurden, vor manieristischen Verirrungen geschützt blie-
ben. Zu diesen gehören zuerst mehrere Künstler aus seiner
eigenen Familie: Sein Bruder Francesco Vecellio, von
1. dem im Berliner Museum ein tüchtiges Altarbild vorhanden
2. ist; sein Sohn Orazio Vecellio, ein ausgezeichneter
Porträtmaler; sein Neffe und treuer Reisegefahrte Marco
.3. Vecellio, von dem sich im Dogenpallaste und in S. Gio-
vanni Elemosinario zu Venedig einige leidlich gute Arbeiten
4. vorfinden. Auch sind hier Santo Zago und Girolamo
di Tiziano, eigentlich Gir. Dante, zu nennen, gute
Copisten des Meisters.
Bonifacio Veneziano (1494-1563) ist ein tüchtiger,
ruhiger, hie und da etwas handwerklicher Meister der vene-
tianischen Schule und guter Nachahmer Tizians. Er kann
als Beweis dienen, was Zeit und Umgebung auch aus einem
ganz mittelmässigen Talente machen können. Venedig ist
sehr reich an Bildern von seiner Hand, unter denen beson-
ders diejenigen, welche einfach zusammengestellte Heilige
oder heilige Familien enthalten, durch. ihre schlichte Tüchtig-
keit "anziehen. In grösseren Compositionen reicht er nicht
wohl aus; zu deren Durchdringung fehlt ihm Tizians Energie
und die nachhaltige Kraft seiner Farben. Doch erfreuen
solche biblische Geschichten (deren eine Menge von ihm vor-
handen sind) immer durch eine Fülle lebendiger, ansprechen-
der Gestalten und selbst hin und wieder durch reizvolle, welt-
lich novellistische Behandlung. Hieher gehört besonders das
5- "Gastmahl des reichen Mannes" in der Akademie zu Venedig,
Es ist Nachmittag; in einer offenen Halle, an einem Tisch,
auf welchem noch die Confektschüssel steht, sitzt der reiche
Mann zwischen seinen beiden Buhlerinnen; die Eine scheint
ihm, die Hand auf dem Herzen, Treue zu versprechen; die
Andere hört sinnend einer Lautenspielerin und einem halb-
knienden Violoncellisten zu, welchen ein Mohrenknabe das
Musikheft hält, während ein bärtiger junger Nobile ihnen
über die Schulter sieht. Links zwei Pagen an einem Kühl-
becken, Wein naschend; rechts der arme Lazarus, von einem
Diener und einem Hunde abgewiesen; im Hintergrunde ein