Volltext: Franz Kugler's Handbuch der Geschichte der Malerei seit Constantin dem Großen (Bd. 2)

Porträts. 
Letzte 
Werke.  Landschaft. 
319 
mittelmässige Maria wohl vergessen machen. Der Trans- 
figuration, ebenda, fehlt es noch durchaus nicht an Kraft, 23.. 
selbst an Leidenschaft der Intentionen, nur die Formen sind 
unbestimmter. Sein letztes, von ihm nicht ganz vollendetes 
Werk, Christus vom Kreuze abgenommen, in der Akademie. 24. 
von Venedig lässt allerdings erkennen," dass dem neun und 
neunzigjährigen Manne die Hand zitterte, aber noch ist die 
Conception lebendig" und ergreifend, noch glüht die Farbe, 
noch strömt das Licht in allen Schattirungen um die gewal- 
tige Gruppe. 
Wie Tizian auf die ganze Folgezeit wirkte, wie" die 
Niederländer später an ihn anknüpften, als es galt eine neue 
Historienmalerei zu begründen, werden wir unten darstellen. 
Hier ist nur noch auf die eigenthümliche Ausbildung der 
Landschaft hinzuweisen, wodurch Tizian ein neuer Gründer 
in dieser" Gattung geworden ist. Ein Sohn der Alpen, hat 
er die Gebirge, "die Dörfer und die Bäume seines friulesischen 
Vaterlandes gewiss in manchen seiner Bilder vor Augen 
gehabt und mit seinen Gluthfarben verherrlicht; aber er suchte 
darin nicht das Phantastische, wie die alten Niederländer, 
sondern das gesetzmässig Schöne, nicht das Viele wie die 
frühern Florentiner, sondern das Grosse und Einfache; bei 
ihm zuerst sind Gruppen und Farben harmonisch, und von 
ihm lernte wahrscheinlich die Schule der Caracci, so dass 
sich auch Poussin und Claude Lorrain mittelbar an ihn 
anschliessen. Ob er jemals die Landschaft als besondern 
Gegenstand behandelt hat, mag dahingestellt bleiben; gewiss 
sind aber in mehreren Bildern die Figuren wenigstens nicht 
mehr die Hauptsache. Eine Predigt Johannes z. B., in 
Devonshirehouse zu London, dient der reichpoetischen Land- 25. 
Schaft mit, ihren mächtigen Bergformen schon recht eigentlich 
zur Staffage. 
5.208. Tizian hat sehr wenig eigentliche Schüler gebil- . 
det; um so mehr jedoch zählt er Nachahmer, welche sich sei- 
nen Styl anzueignen strebten; und wenn sie auch kein Werk 
ersten Ranges lieferten, doch meistentheils durch die Bahn 
der N aturnachahmung, wohin sie durch Tizians Beispiel gelei-
	        
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