312
Buch
III.
Italien.
XVI.
Jahrhundert.
Tizian.
205.
(welches leider, wie das vorige, stark gelitten hat). Die schöne,
edel verkürzte Gestalt des Heiligen, von oben durch einen
himmlischen Lichtstrahl, von unten durch das Feuer des
Rostes beleuchtet, lässt viel weniger die physische Qual als
die heilige Standhaftigkeit des Märtyrers erkennen, welche
all die Schergen, in wildes Erstaunen versetzt und sie theils
zu scheusslicher Bosheit, theils zur Bewunderung und zur
Flucht antreibt; nur ein harter alter Kriegsmann in dieser
prachtvoll bewegten Gruppe blickt unverwandt und ohne sich
irre machen zu lassen, auf den Heiligen hin. Dazu kömmt
ein Lichteffekt, wie er vielleicht nicht zum zweitenmal dar-
gestellt ist; das Feuer, der Strahl von oben und die Flammen
zweier Pechpfannen bringen in die nächtliche Scene einen
Strom von Lichtern und Reflexen, welcher auch die geringste
Composition zu einem Wunderwerke machen müsste.
Im Dogenpallaste zu Venedig hatte Tizian bedeutende
Malereien meist geschichtlichen Inhalts ausgeführt; diese
wurden durch den schon erwähnten Brand, welcher fast alle
inneren Theile des Pallastes zerstörte, vernichtet. Nur das
Frescobild eines von Tizian gemalten heil. Christophorus hat
sich hier, über einer kleinen Treppe neben der Kapelle des
Pallastes, erhalten; der Kopf desselben ist schön, das Uebrige
der Figur jedoch sehr mittelmässig. In Verona, in der
Sammlung des Rathspallastes, schreibt man ihm ein geschicht-
liches Gemälde von sehr grossen Dimensionen zu. Hier sieht
man den Dogen von Venedig auf dem Throne, zu seinen
Seiten die Signori in rothem Costüm; zur Rechten die Garde
der Sclavonen, zur Linken in weiss seidener Kleidung die
Rathsherren von Verona, welche dem Dogen Fahne und
Schlüssel ihrer Stadt überreichen. Ueber ihnen, in Wolken,
die heil. Jungfrau mit den Heiligen Marcus und Zeno (den
Schutzheiligen von Venedig und Verona). Die Composition
des Bildes ist nicht gerade grossartig, auch erkennt man in
Einzelheiten z. B. in den Heiligen, sehr deutlich die Hand
minder vorzüglicher Künstler; die Portraitköpfe der darge-
stellten Personen aber sind höchst ausgezeichnet und voller
Leben.