Tizian.
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häufig eben nur ein Abbild des Nächsten und Bekannten, nur
Darstellung schöner Formen ohne weitere Rücksicht auf
geistige Verhältnisse und überirdische Begriffe zu enthalten
scheinen, durchweg eine reinere und erhöhte Stimmung mit.
Es ist das Leben in seiner vollsten Potenz, es ist die Ver-
klärung des irdischen Daseins ohne Nimbus und ohne Opfer-
blut; es ist die Befreiung der Kunst aus den Banden kirch-
licher Dogmen.
Was Tizian von Coreggio scheidet, mit welchem er sonst
eine offenbare Congenialität besitzt, ist wesentlich ein ganz
verschiedenes iVollen. Wo der Lombarde ein nervös auf-
geregtes Leben schildert, giebt der Venetianer ruhiges Be-
hagen; wenn bei Jenem die Gestalten nur desshalb geschaffen
scheinen, um daran das Spiel der Empfindung und des Na-
turlebens darzustellen, nehmen sie bei Diesem vor allem eine
grandiose, volle Existenz in Anspruch und sind dann in der
Bewegung um so gewaltiger; wo Jener vor hastiger Leiden-
schaft nicht zur Entwickelung schöner Formen kömmt und
uns desshalb modern erscheint, da behält Dieser seine uner-
schütterliche Grundlage dauernder und nothwendiger Schön-
heit; wie endlich Coreggids Helldunkel etwas an sich Be-
dingtes, Mittelbares, ein Phänomen an den Körpern ist, so
ist bei Tizian die Farbe der Ausdruck der Existenz selber.
ä. 204. In seinen früheren Bildern erscheint Tizian
noch als ein Anhänger des Bellinfschen Styles, den er je-
doch bereits mit einer eigenthümlichen Kraft zu behandeln
Weiss. Eine Anbetung der Könige im Pallast Manfrini zu 1,
Venedig, ein kleines flgurenreiches Bild mit mancherlei
Mängeln in den Figuren, aber mit einer artigen weiten
Landschaft, ist gewiss eins seiner frühesten Stücke. Schon
entwickelter sind eine Madonna mit Engeln in der Galerie der 2,
Ufiizien zu Florenz, eine Madonna mit Heiligen im Pallast 3_
Colonna , und eine zierliche kleine Madonna im Pallast 4_
Sciarra zu Rom. Sodann gehört hieher besonders ein schönes
einfaches Bild in der venetianischen Akademie, den Besuch 5_
Maria bei der Elisabeth darstellend; sowie auch eine sehr
anmuthige Madonna mit dem Kinde aus dieser Zeit, in der 6_
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