Giorgione.
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ist dieses Element der Technik Wiederum nur der Ausdruck
einer besonderen höheren Aufassungsweise; es ist die Freude
an dem Leben und dem Glanze des Lebens, was sich in
allen edleren Leistungen dieser Schule ausspricht. Und von
einer solchen Auffassungsweise ausgehend, wissen sie doch,
obgleich dieselbe fast auf die Nachahmung des Nächstliegen-
den beschränkt. scheint, das Leben nach allen Seiten und bis
in seine Tiefen zu durchdringen und wiederum die grossar-
tigsten Aufgaben zu erfüllen. Zu bemerken ist übrigens,
dass die Venetianer im Ganzen sehr wenig al freseo, sondern
meist in Oel, auch die grossräumigsten Bilder, ausgeführt
haben. Der Grund liegt sehr nahe, indem natürlich die Be-
schaffenheit der Oelfarben ihre eigenthümliche Richtung un-
gleich mehr begünstigen musste, als fdies bei der strengeren
Technik der Frescomalerei möglich war.
Eine sehr grosse Menge venetianischer Künstler ist in
dieser Richtung mit grösserer oder geringerer Selbständigkeit
thätig gewesen; zunächst jedoch reihen sie sich vorzugsweise
um zwei Meister, Giorgione und Tizian, beides Schüler des
Giovanni Bellini.
g. 201. Giorgio Barbarelli di Castelfranco, ge-
wöhnlich Giorgione genannt, wurde um 1477 geboren
und starb 1511. Er ist der erste unter den Venetianern,
welcher die alterthümliche Befangenheit der Bellinfschen
Schule ablegte, und die Kunst mit Freiheit, den Auftrag der
Farbe in einer kühnen entschlossenen Weise behandelte.
Seine Gemälde haben insgemein den Ausdruck einer strengen,
leuchtenden Kraft, einer innerlich verschlossenen Glut, welche
zu der Ruhe, die äusserlieh in seinen Darstellungen zu
herrschen pflegt, einen sehr eigenthümlichen Contrast bildet;
es ist, möchte ich sagen, ein erhöhtes Geschlecht von Men-
sehen, welches die Fähigkeit zu den edelsten und grossar-
fast so hell sind, wie die beleuchteten Stellen." (Von Qllalldt, in
der Uebersetzung von Lanzi's Geschichte der Malerei in Italien, II,
S. 146, Anm.)