Volltext: Franz Kugler's Handbuch der Geschichte der Malerei seit Constantin dem Großen (Bd. 2)

Achtes 
Capite]. 
Die 
Schulen 
VOll 
Venedig. 
ä. 200. Ich gehe nunmehr zu der letzten grossen Haupt- 
gruppe über, welche in der italienischen Kunst vom Anfange 
des XVI. Jahrhunderts Wiederum einen Reichthum eigen- 
thümlicher Vollendung entfaltete. Dies sind die Venetianer. 
Bei ihnen wird zunächst ebenfalls ein besonderer technischer 
Vorzug bemerkbar. War es bei den Römern die schöne 
Form, beim Coreggio das malerische Helldunkel, so erscheint 
bei den Venetianern dieser Zeit, ähnlich wie bei ihren Vor- 
gängern, die wir bereits betrachtet haben, die Farbe als 
dasjenige Element, welches vorzugsweise ihren künstlerischen 
Bestrebungen den Stempel der Vollendung aufgedrückt hat. 
Mit bewunderungswürdiger Meisterschaft Wissen sie das 
warme Leben des Nackten, die Pracht und den Schimmer 
der mannichfaltigsten Stoffe nachzuahmen, und, ich möchte 
sagen: mit Licht im Lichte zu modellireni"). Aber bei ihnen 
iß)_0biger Ausdruck ist keine Hyperbel, er bezeichnet in der 
That die den Meistern der venetianischen Schule eigenthiimliehe Far- 
benbehandlung, welche das Resultat einer genauen Beobachtung der 
Wirkungen der Farbe und des Lichtes auf das Auge ist:  "Alle 
Theile eines gesunden menschlichen Körpers, auf welche das Sonnen- 
licht gerade auffällt; haben eine röthlich gelbliche Farbe und zugleich 
ist es die, welche das Auge am meisten reizt, ihm gleichsam freund- 
lich entgegenleuchtet und von diesem Sinnorgane am lebhaftesten auf- 
genommen wird.  Daher treten so beleuchtete und gefarbte Stellen 
scheinbar hervor. Andere Theile, welche nicht den Strahlen zuge- 
wendet, sondern seitwärts liegen, empfangen ihre Beleuchtung von 
näheren und ferneren beleuchteten Gegenständen, und von der durch 
Licht erfüllten Atmosphäre; diese Widerscheine hauchen gleichsam 
den Theilen, auf welche sie fallen, die Farbe der Gegenstände an, 
von welchen sie abprallen. Da nun diese Widerseheine blaulieh sind, 
wenn sie aus der freien Luft kommen, so theilen sie diese hlauliehe 
Farbe -dem weniger beleuchteten Gegenstande mit, und wenn dies eine 
zarte Haut ist, so entsteht aus der Mischung mit der bloss gelbröth- 
liehen Farbe ein Liehtgraulichgrün. Diese Färbung fällt aber dem 
Auge, weil sie matter ist, weniger auf, und so weichen diese Theile 
scheinbar zurück, und erscheinen als Halbschatten, selbst wenn sie
	        
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