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Buch
III.
Italien.
XVI.
Jahrhundert.
Coreggio.
195.
begründet, in jener lebhafteren Beweglichkeit, welche alle
leiseren Spiele der Form verfolgt und sie in einer weicheren
Modellirung herzustellen weiss. Coreggio wusste Licht und
Schatten in unendliche Grade abzumessen, er wusste solcher
Gestalt den höchsten Glanz hervorzubringen, ohne zu blen-
den, das tiefste Dunkel, ohne das Auge durch ein todtes
Schwarz abzustossen. Mit gleicher Meisterschaft sind in sei-
nen Werken auch die Verhältnisse der Farben beobachtet,
so dass eine jede an sich gemildert und doch im Verhältniss
zu den andern höchst kräftig erscheint. Indem Coreggio.
in der Vollendung dieser seiner eigenthümlichen Richtung
wiederum einen der höchsten Gipfelpunkte neuerer Kunst
bezeichnet, so muss dabei jedoch gleich von vorn herein be-
merkt werden, dass diese Richtung ihn (ähnlich, und noch
mehr, wie es bei Michelangelo der Fall war) zu mancher ein-
seitigen Uebertreibung verführt hat, dass er. namentlich sich
manchen wirklichen Fehler gegen die Form hat zu Schulden
kommen lassen und, was ungleich schlimmer ist, dass sein
Ausdruck des Affektes nicht selten an Affektation grenzt. f)
Immerhin steht Coreggio den drei grossen Meistern der
fiorentinischen und der römischen Schule als eine ganz eigen-
thümliche, nach besonderm Maasse zu messende Macht gegen-
über. Wenn man höhere Schönheit und Würde, ideale For-
mengrösse und Tiefe der Charakteristik nicht bloss als haupt-
sächliches, sondern als ausschliessliches Ziel der Kunst be-
trachtet, so hat Coreggio kein Recht, als vierter neben jenen
genannt zu werden; Gestalt, Ausdruck, Geberde und Anord-
nung erscheinen bei ihm, besonders wenn man Rafael zum
Maassstab nimmt, oft kleinlich und vielfach manierirt. Allein
zugestanden, dass Coreggio in den höchsten Richtungen der
Kunst Jenen unbedingt nachzustellen sei, so hat er doch die
ihm eigenthümliche Sphäre zu einer solchen Grösse und Frei-
heit ausgebildet, dass man ihm keine Stellung zweiten Ran-
ä) Eine treffliche Charakteristik Coreggids von Hrn. v. Quandt,
in der Uebersetzung von Lanzfs Geschichte" der Malerei in Italien
II, S. 319, Anm. 36.