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Buch III.
Italien.
XVI. Jahrhundert.
Siena.
193.
einigen Malern zu Anfang des XVI. Jahrhunderts, namentlich
dem Jacopo Pacohiarotto in ansprechender Weise ge-
lang (s. oben S. 101). Um jedoch die sienesische Kunst auf die
Höhe des XVI. Jahrhunderts zu heben, bedurfte es eines bedeu-
tenden Impulses, hauptsächlich eines Meisters, welcher die
ganze künstlerische Durchbildung seiner Zeit in sich auf-
genommen hatte.
Ein solcher Meister fand sich in dem Lombarden Gia-
nantonio Bazzi, gewöhnlich il Sodoma genannt (geb.
etwa 1480, gest. 1549), einem Maler, der zu den anziehend-
sten seiner Zeit gehört. Sodoma war aus Vercelli gebürtig
und scheint unter dem Einüuss des Leonardo da Vinci ge-
bildet worden zu sein; er liess sich nachmals in Siena nie-
der und wurde Bürger dieser Stadt. "Er hat in seinen Fi-
guren, besonders den weiblichen, viel Verwandtes mit dem
Style des Leonardo, eine Anmuth, Zartheit und Süssigkeit,
dabei zugleich einen Ernst und eine Innigkeit, wie sie viel-
leicht bei keinem andern wiedergefunden wird; wäre das
Schönheitsgefühl dieses Künstlers von grösserer Ausdauer ge-
wesen, erschiene er nicht zuweilen in der Zeichnung seiner
Figuren, in der Anordnung der Gruppen etwas mangelhaft,
so müsste er als einer der ersten Künstler aller Zeit bezeich-
L net werden. Die frühesten bekannten Arbeiten Sodoma's (um
1502) sind sechsundzwanzig wohlerhaltene Wandgemälde aus
der Geschichte des heil. Benedict im Kloster S. Uliveto mag-
giore (unweit der Strasse von Siena nach Rom), wo bereits
Luca Signorelli einige Gemälde ausgeführt hatte; hier er-
scheint er noch ziemlich strenge und mit einem eigenthüm-
2_ lichen Bestreben für Charakteristik. Bald darauf malte er in
dem Refectorium des nahen Klosters S. Anna in Creta das
Wunder von den fünf Broden, welches ebenfalls noch erhalten
ist. Später malte er unter Julius II. in Rom. Seine Arbeiten
im Vatican wurden jedoch bald wieder, bis auf einige Ara-
besken und Zwischenfelder an den Decken, vernichtet, um
.3. für Rafael Platz zu gewinnen. Erhalten sind einige Wand-
malereien in. der Farnesina, wo er in einem Zimmer des
Obergeschosses die Hochzeit des Alexander mit der Roxane